Metro2033
kochten wieder jene weißen Knollen, die sie schon bei Antons Frau bekommen hatten. Der Stationsvorsteher saß daneben auf einem Hocker und blätterte ein zerfledertes Büchlein durch, auf dessen Umschlag ein Revolver sowie Frauenbeine in schwarzen Strümpfen abgebildet waren. Als er Artjom erblickte, legte er das Buch verlegen beiseite. »Es ist Ihnen wohl langweilig hier«, sagte er und lächelte verständnisvoll. »Gehen wir zu mir ins Büro. Katerina wird uns dort den Tisch decken.« Er zwinkerte Artjom zu. »Einstweilen genehmigen wir uns ein Gläschen.«
Auch das Teppichzimmer mit dem Totenschädel sah nun ganz anders aus: Eine Tischlampe mit grünem Stoffschirm verbreitete behagliches Licht. Sofort verflog die Anspannung, die Artjom draußen verfolgt hatte. Arkadi Semjonowitsch holte aus dem Schrank eine kleine Flasche hervor und schenkte daraus eine bräunliche Flüssigkeit mit betäubendem Aroma in ein ungewöhnlich bauchiges Glas ein. Ganz wenig, vielleicht ein Fingerbreit. Diese Flasche allein kostete wahrscheinlich mehr als eine ganze Kiste von dem Wein, den er in Kitai-gorod getrunken hatte, vermutete Artjom.
»Kognak.« Arkadi Semjonowitsch hatte Artjoms neugierigen Blick erkannt. »Zwar ein armenischer, dafür fast dreißig Jahre gereift. Von oben.« Er blickte sehnsüchtig an die Decke. »Keine Angst, der ist nicht verseucht. Ich habe selbst nachgemessen.«
Das unbekannte Getränk war stark alkoholisch, doch sein angenehmer Geschmack und das herbe Aroma milderten die Wirkung. Dem Beispiel seines Gastgebers folgend, behielt Artjom jeden Schluck lange im Mund. Sogleich begann ein Feuer langsam durch seinen Körper zu wandern und eine angenehme Wärme zu hinterlassen. Das Zimmer wurde noch behaglicher und Arkadi Semjonowitsch noch sympathischer.
»Erstaunlich.« Artjom schloss genießerisch die Augen.
»Exzellent, nicht war? Vor etwa eineinhalb Jahren haben die Stalker an der Krasnopresnenskaja doch tatsächlich einen völlig unberührten Lebensmittelladen aufgetan. In einem Kellerraum, wie es sie früher oft gab. Das Ladenschild war heruntergefallen, deswegen hatte ihn niemand bemerkt. Aber einer der Stalker erinnerte sich, dass er früher - also vorher - manchmal dort vorbeigeschaut hatte. Und er beschloss nachzusehen. In all den Jahren ist dieser Kognak natürlich nur noch besser geworden. Über Beziehungen habe ich für hundert Kugeln zwei Flaschen bekommen - in Kitai-gorod zahlst du für eine zweihundert.« Arkadi Semjonowitsch nippte erneut an seinem Glas und hielt es dann nachdenklich gegen das Licht. »Wassja hieß er, der Stalker. Ein großartiger Kerl. Keiner von diesen kleinen Fischen, die nur Holz von oben holen, sondern einer von denen, die wirklich wertvolle Dinge auftreiben. Jedes Mal, wenn er wieder oben gewesen war, kam er als Erstes zu mir.« Der Vorsteher lächelte schwach. »>Semjonytsch<, sagte er immer, >es gibt eine neue Lieferung<.«
»Ist ihm was passiert?«
»Nun, die Krasnopresnenskaja hat er besonders geliebt. Er meinte immer, das sei ein echtes Eldorado. Alles sei dort noch wie neu, schon allein das Stalin-Hochhaus sei Gold wert. Natürlich hatte da niemand etwas angerührt, der Tierpark liegt doch gleich auf der anderen Straßenseite. Wer wagt sich schon dorthin, zur Krasnopresnenskaja? Der reinste Horror! Aber Wassja war ein Draufgänger, er liebte das Risiko. Dafür hat er auch entsprechend verdient. Eines Tages hat es ihn aber doch erwischt: Irgendwas hat ihn gepackt und in den Tierpark mitgeschleift. Sein Partner ist damals gerade noch davongekommen.« Arkadi Semjonowitsch seufzte schwer und schenkte sich und Artjom nach. »Trinken wir auf ihn.«
Artjom musste an den schier unfassbaren Preis des Kognaks denken und wollte schon protestieren, doch der Vorsteher drückte ihm entschieden den bauchigen Kelch in die Hand und erklärte, eine Weigerung verletze das Andenken an den furchtlosen Stalker, der ihm das göttliche Getränk beschafft habe.
Inzwischen hatte die Frau den Tisch gedeckt, und Artjom und Arkadi Semjonowitsch waren zu gewöhnlichem, aber sehr hochprozentigem Selbstgebrannten übergegangen. Das Fleisch war hervorragend zubereitet, und dazu trank sich die klare Flüssigkeit erstaunlich leicht.
Nach etwa eineinhalb Stunden war Artjom redselig geworden. »Mir gefällt es nicht an eurer Station. Irgendwas ist unheimlich hier, etwas drückt auf die Stimmung ...«
»Gewöhnungssache.« Arkadi Semjonowitsch schüttelte unbestimmt den Kopf. »Auch hier leben
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