Metro2033
werden, richtig?« Suchoj lächelte traurig. »Du bist immer noch derselbe Cowboy. Die Frage ist nur: Ist das überhaupt möglich? Das ist der Haken. Die Geschichte ist viel komplizierter, als du denkst. Das sind nicht nur irgendwelche Zombies, wandelnde Leichen, wie im Kino. Da ist es ja ganz einfach: Du lädst deinen Revolver mit silbernen Patronen« - er hob eine Hand und formte eine Pistole - »und piff-paff, die Mächte des Bösen sind besiegt. Aber das hier ist etwas anderes. Etwas Furchtbares. Und mir macht man so leicht nicht Angst, Hunter, das weißt du.«
»Du und Angst?«, fragte Hunter verwundert.
»Ihre stärkste Waffe ist der Schrecken. Die Leute halten es an ihren Posten kaum noch aus. Sie liegen da, MPs und Maschinengewehre im Anschlag, und dann kommen die auf sie zu, völlig unbewaffnet. Und obwohl sie wissen, dass sie in der Überzahl und besser ausgerüstet sind als diese Kreaturen, würden sie am liebsten davonlaufen. Sie drehen fast durch vor Angst. Und einige von ihnen sind tatsächlich reif für die Klapsmühle, das sag ich dir im Vertrauen. Es ist nicht nur einfach Angst, Hunter!« Suchoj senkte die Stimme. »Ich weiß gar nicht, wie ich dir das erklären soll ... Es wird mit jedem Mal stärker. Irgendwie beeinflussen sie deinen Kopf. Du spürst sie schon von ferne, und dieses Gefühl nimmt immer mehr zu, eine scheußliche Art von Unruhe, dass dir die Knie zu zittern beginnen. Dabei ist am Anfang überhaupt nichts zu hören, geschweige denn zu sehen, aber du weißt, dass sie in der Nähe sind. Und dann kommt dieses Heulen - da würde man am liebsten gleich Reißaus nehmen. Schließlich fängst du am ganzen Leib an zu zittern. Und danach, wenn es vorbei ist, siehst du sie noch lange vor dir, wie sie mit offenen Augen auf den Scheinwerfer zugehen ...«
Artjom zuckte zusammen. Also quälten diese Albträume nicht nur ihn. Bisher hatte er es vermieden, darüber mit jemandem zu sprechen - aus Angst, man würde ihn für einen Feigling oder einen Irren halten.
»Sie bringen deine Psyche aus dem Gleichgewicht, diese Kreaturen«, fuhr Suchoj fort. »Sie stellen sich sozusagen auf deine Wellenlänge ein, damit du sie mit jeder Faser spürst. Und das ist mehr als Angst. Ich weiß, wovon ich spreche.«
Hunter saß unbeweglich da und blickte Suchoj prüfend an. Offenbar dachte er über das Gehörte nach. Dann trank er einen Schluck von dem heißen Aufguss und sprach langsam und leise: »Diese Gefahr droht allen, Suchoj. Der ganzen beschissenen Metro, nicht nur eurer Station.«
Erst schien es, als wolle Suchoj nicht antworten, doch plötzlich brach es aus ihm heraus: »Der ganzen Metro, sagst du? Nein, nicht nur der Metro. Der gesamten fortschrittlichen Zivilisation, die es mit ihrem Fortschritt ein bisschen zu weit getrieben hat. Jetzt müssen wir dafür zahlen! Es ist ein Kampf ums Dasein, Hunter. Ein Kampf ums Überleben unserer Art. Diese Schwarzen sind keine Gespenster oder Vampire. Sie sind der Homo novus, die nächste Stufe der Evolution, besser an die Umwelt angepasst als wir. Sie sind die Zukunft! Der Sapiens wird vielleicht noch ein paar Jahrzehnte oder ein halbes Jahrhundert vor sich hin faulen in diesen gottverdammten Löchern, die er sich selbst gebuddelt hat, als noch zu viele von seiner Art da waren und man die Armen tagsüber unter die Erde stopfte. Wir werden bleich und verkümmert sein wie die Morlocks bei Wells, du weißt schon, in der Zeitmaschine. Auch die gehörten irgendwann mal zur Gattung Homo sapiens ... Natürlich, wir sind Optimisten, wir wollen nicht einfach so verrecken! Wir züchten Pilze auf unserer eigenen Scheiße, und das Schwein ist heute der beste Freund des Menschen, sozusagen unser Partner im Überlebenskampf. Wir schlucken Multivitamintabletten, die unsere Vorfahren hier in weiser Voraussicht tonnenweise gebunkert haben. Ab und an kriechen wir nach oben, um uns schnell einen Benzinkanister zu schnappen oder alte Klamotten von irgendwem oder eine Handvoll Patronen, wenn's gut läuft. Dann stehlen wir uns schleunigst wieder davon, zurück in unser stickiges Kellerloch, immer auf der Hut, dass uns niemand bemerkt. Denn dort oben sind wir nicht mehr zu Hause. Die Welt gehört uns nicht mehr, Jäger. Die Welt gehört uns nicht mehr.« Suchoj verstummte und sah zu, wie der Dampf von seinem Teebecher aufstieg und sich im Zwielicht des Zelts auflöste.
Hunter entgegnete nichts, und Artjom wurde plötzlich klar, dass er seinen Stiefvater noch nie so hatte reden hören.
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