Metro2033
erzählen.
Von allen Stationen, die überhaupt in der Lage waren, Expeditionen an die Oberfläche durchzuführen, war die Polis die einzige, die ihre Stalker nach Büchern aussandte. Nur dort hatte das Wissen an sich einen solchen Stellenwert, dass man seinetwegen das Leben Freiwilliger riskierte, Söldnern sagenhafte Summen zahlte, auf materielle Güter verzichtete, um geistige Werte zu erringen.
Und trotz ihrer scheinbaren Lebensferne und des Idealismus ihrer Führung hielt die Polis Jahr um Jahr stand, wurde von Katastrophen verschont, ja wenn etwas ihre Sicherheit zu gefährden drohte, schien es, als wäre die gesamte Metro bereit, wie ein Mann zu ihrem Schutz zusammenzustehen. Der Widerhall der letzten Schlachten des Krieges zwischen der Roten Linie und der Hanse war verklungen, und die Polis umgab nun wieder eine magische Aura der Unverletzlichkeit und des Wohlstands.
Wie Artjom also über diesen wunderlichen Ort nachdachte, erschien es ihm keineswegs seltsam, dass der Weg dorthin nicht leicht war, ja er musste geradezu labyrinthisch sein, voller Gefahren und Prüfungen - andernfalls hätte das Ziel der Fahrt selbst einen Teil seiner Rätselhaftigkeit und seines Zaubers eingebüßt.
Erschien der Weg über die Kirowskaja die Rote Linie entlang zur Biblioteka imeni Lenina unmöglich und zu riskant, so konnte er versuchen, die Patrouillen der Hanse zu passieren und über die Ringlinie zu gehen. Artjom sah sich den Plan genauer an. Würde er es schaffen, auf das Gebiet der Hanse zu gelangen, dann wäre der Weg zur Polis relativ kurz. Er fuhr mit dem Finger über die Linien auf dem Plan. Wenn er am Prospekt Mira auf den südlichen Abschnitt der Ringlinie abbog, käme er schon nach zwei Stationen der Hanse bei der Kurskaja raus. Dort würde er auf die Arbatsko-Pokrowskaja-Linie wechseln und wäre nur noch einen Katzensprung entfernt von der Station Arbatskaja, die zur Polis gehörte. Natürlich stand ihm noch der Platz der Revolution im Weg, den die Rote Linie im Tausch für die Lenin-Bibliothek bekommen hatte, aber schließlich garantierten die Roten jedermann freien Transit, das war eine der Hauptbedingungen des Friedensvertrags gewesen. Und da Artjom nicht beabsichtigte, die Station selbst zu betreten, sondern nur an ihr vorbei wollte, mussten sie ihn eigentlich ungehindert passieren lassen.
Nach kurzer Überlegung beschloss er, es einstweilen bei diesem Plan zu belassen und zu versuchen, unterwegs mehr über die Stationen zu erfahren, die auf seinem Weg lagen. Sollte irgendetwas nicht klappen, sagte er sich, würde er immer eine Ersatzroute finden. Während er das Geflecht der Linien und die Fülle an Umsteigemöglichkeiten betrachtete, kam es ihm vor, als habe der Kommandeur doch etwas übertrieben, als er die Schwierigkeiten selbst bei kürzesten Reisen durch die Metro beschrieb. Schließlich konnte man ja vom Prospekt Mira aus nicht nur über den südlichen Flügel der Hanse, sondern auch über den nördlichen gehen -
Artjom fuhr mit dem Finger den Ring ab -, bis zur Kiewskaja. Von dort waren es entweder auf der Filjowskaja- oder auf der Arbatsko-Pokrowskaja-Linie nur zwei Bahnhöfe bis zur Polis. Die Aufgabe erschien Artjom jedenfalls nicht mehr unlösbar. Diese kleine Übung mit dem Plan hatte ihm Selbstvertrauen eingeflößt, nun wusste er, was er zu tun hatte, und zweifelte nicht mehr: Wenn die Karawane bei der Rischskaja ankam, würde er nicht mit der Gruppe zur WDNCh zurückkehren, sondern seine Reise zur Polis fortsetzen.
»Du machst Pläne?«, ertönte direkt über seinem Ohr Schenjas Stimme.
Artjom war so sehr in Gedanken versunken gewesen, dass er die Rückkehr seines Freundes nicht bemerkt hatte. Überrascht sprang er auf und versuchte verlegen den Plan zu verbergen. »Nein, nein ... Ich ... wollte mir nur die Stationen ansehen, wo sich dieses >Reich< befindet, von dem uns der Kommandeur erzählt hat.«
»Und, hast du sie gefunden? Nein? Na, gib her, ich zeig sie dir.« Schenja kannte die Metro wesentlich besser als Artjom, worauf er sehr stolz war. Auf Anhieb fand er mit dem Finger den Dreifach-Übergang, der die Stationen Tschechowskaja, Puschkinskaja und Twerskaja verband. Artjom seufzte erleichtert, was Schenja für ein neidisches Schnauben hielt, weshalb er tröstend sagte: »Na, irgendwann wirst du dich sicher auch so gut auskennen wie ich.«
Artjom machte ein dankbares Gesicht und wechselte schnell das Thema: »Wie lange bleiben wir noch hier?«
»Jungs, auf die Beine!«, ertönte
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