Metropolis brennt
Stelle das Ding da sehr schnell wegstecken“, bemerkte sie trocken und reichte ihm den Roman. „Etwas ungewöhnlich, ein Buch zu lesen, oder?“
„Ich gebe es sowieso morgen früh ab“, murmelte er. Jetzt war die Angst sogar noch stärker als vorhin. Er würde das Buch nicht zu Ende lesen können, dafür war es zu dick. Er war traurig darüber, aber er hatte keine Wahl. Das Buch mußte aus dem Haus.
Obwohl die Versuchung groß war, schlug er den Roman nicht mehr auf, sondern ging gleich zu Bett, wo Luise bereits auf ihn wartete.
Aus Irmas Zimmer klang leise Musik; sie träumte von Henry Boog.
6
„… und eine angenehme Nachtruhe.“
Nach der Abblende fiel der Nachrichtensprecher in sich zusammen. Haltlos baumelte der Kopf auf der Brust. Ein Kurzschluß setzte ihn ganz außer Gefecht. Henry Boog war ausgebrannt. Die letzten fünf Minuten hatten die City unglaubliche Mengen an Energie gekostet, um die Sendung nicht zu gefährden.
Der Nachrichtensprecher hatte nur noch Schrottwert.
Der City-Computer gab der zentralen Leitstelle den Auftrag, für den nächsten Tag einen neuen Sprecher bereitzustellen, Henry Boogs gab es im Lager genügend. Ein Ersatzkörper mußte gründlich inspiziert und aufpoliert werden, damit die nächste Nachrichtenschau wieder ein voller Erfolg wurde.
In der zentralen Leitstelle, Sektor Programmplanung, begann unterdessen die Zusammenstellung der nächsten „Nachrichten vom Tage“ für den kommenden Abend. Alte Bänder wurden daraufhin geprüft, wie lange sie nicht mehr gesendet worden waren und ob kleine Korrekturen sie wieder sendbar machten. Über das Draußen unmittelbar nach der Katastrophe gab es nur eine gewisse Anzahl von Standardbändern, deren Ausstrahlung sorgfältig über mehrere Jahre verteilt werden mußte, damit ihre Wiederholung nicht auffiel. Dazu kamen dann täglich aktuelle Berichte von Bagatellereignissen innerhalb der City.
Nach wenigen Minuten hatte die Programmplanung das Grundgerüst der nächsten Sendung erstellt. Die Arbeit des Tages war getan. Die Langzeitprogrammierung hatte weiterhin Erfolg, das zeigten die Nachforschungen der Nachrichtenkontrolle unmittelbar nach Ende der Sendung:
Die Menschen innerhalb der City waren immer noch ahnungslos darüber, daß sich die Natur draußen bereits längst wieder erholt hatte.
Und so sollte es auch weiter bleiben.
Kai Schätzl
Das vergessene Glück
Lichtpunkt Nummer zweiunddreißig glimmt in einem satten Orange auf – genau eine Sekunde lang –, erlischt dann, flammt nach einer halben Sekunde wieder für die Dauer von genau einer Sekunde in leuchtend orangefarbenem Licht auf. Nachdem sich dies zehnmal wiederholt hat, quillt aus einem Konsolenlautsprecher mit zäher, vocodermodulierter Computerstimme ein kurzer Satz: „Norman Grün-124, deine Arbeitszeit ist beendet.“
Der hochaufgeschossene Mann, der an der weitflächigen, schreibtischähnlichen Konsole sitzt, blickt zum erstenmal von seiner Arbeit auf und schiebt den Schwenkarm mit der Computer-Tastatur, auf der er bis eben noch mit flinken Fingern gespielt hat, mitsamt dem Bildschirm etwas zur Seite, um besser auf den hinteren Rand der Konsole blicken zu können. Er beugt sich etwas vor und berührt dann mit dem Zeigefinger eine kleine, quadratisch markierte Fläche auf einem dort angelegten Sensorfeld. Er berührt das Klein-Quadrat, in dem durch eine dünne Plexiglaslinse hindurch eine Lumineszenzdiode immer noch einen orangefarben leuchtenden Countdown blinkt, das Klein-Quadrat, welches mit einer in Schwarz auf die metallisch funkelnde Grundfläche gestanzten ‚Zweiunddreißig’ markiert ist.
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