Metropolis brennt
Sekunde der City-Computer die Befehlsgewalt. Nun erfolgte die Fernsteuerung nicht mehr vom Funkhaus aus, sondern direkt aus dem Rathaus.
Möglicherweise sprach Henry Boog nun etwas langsamer, doch das fiel den menschlichen Zuschauern sicherlich nicht auf. Was spielte es für sie eine Rolle, daß die Sendung etwa eine halbe Sekunde länger dauerte als gewöhnlich?
„Das waren die Nachrichten vom Tage, meine Damen und Herren“, verkündete Henry Boog mit jenem feinen Lächeln um die Mundwinkel, bei dem es Irma Hellmann immer abwechselnd heiß und kalt wurde.
„Bis morgen verabschiedet sich Ihr Nachrichtensprecher und wünscht Ihnen einen amüsanten Abend und eine angenehme Nachtruhe.“
Der Videoschirm wurde dunkel.
„Schade“, sagte Irma. „Schade, daß das schon vorüber ist. Dieser Henry ist vielleicht ein toller Kerl. Mit dem würde ich gerne mal zum Monatstanz gehen.“
„Dazu mußt du aber erst noch etwas älter werden, mein Fräulein“, betonte Vater Hellmann. „Außerdem ist mir der Typ zu glatt.“
„Du stehst ja auch nicht auf Männer“, maulte Irma. „Immer hast du was rumzumeckern.“
„Vertragt euch“, bat ihre Mutter und sah zu ihrem Mann hinüber, doch der hatte sich bereits wieder in jenes komische Buch vertieft, das er heute nach Dienstschluß angeschleppt hatte. Wie langweilig zu lesen, wo es doch die tollsten Videokassetten gab! Luise Hellmann gab sich einen Ruck: „Irma, hilf mir bitte, das Geschirr wegzuräumen.“
5
Er hätte zu gerne gewußt, wer dieser Emile Zola eigentlich war und ob das, was er da beschrieb, sich wirklich einmal zugetragen hatte.
Lothar Hellmann war gefesselt davon, wie hier das Schicksal eines einzelnen Menschen – verwoben in die Zwänge der Umwelt – gezeichnet wurde. Dagegen war das moderne Unterhaltungsangebot oberflächlich – einfach langweilig.
Über der Lektüre hatte er die Zeit vergessen und schrak hoch, als der Summer zweimal ertönte.
Angst durchflutete ihn. Die Nachrichtenkontrolle!
Von draußen hörte er Irmas Stimme auf Fragen antworten, die er – ebensowenig wie die Antworten – verstehen konnte. Hellmann stand wie versteinert. Vergeblich versuchte er, sich an die Nachrichten vom Tage zu erinnern. Es war alles wie weggeblasen, von einem großen Schwamm gelöscht von der Schiefertafel seines Gedächtnisses.
Lediglich an die doppelt gelesene Meldung konnte er sich erinnern. Doch durfte er erwähnen, daß seiner Meinung nach dieser Beitrag zweimal gelaufen war? Was, wenn er es wirklich mit der gestrigen Sendung verwechselte?
Verzweifelt versuchte er, durch die geschlossene Tür hindurch einige Brocken von dem zu verstehen, was draußen verhandelt wurde. Sonst empfand er das Haus immer als sehr hellhörig, doch nun, da es darauf ankam, war absolut nichts herauszuhören. Er bewegte sich zögernd auf die Tür zu, da wurde diese schon aufgestoßen. Irma.
„Was hast du denn?“ fragte sie ihren Vater, der zitternd und kreidebleich vor ihr stand.
„War das die …“ Hellmann konnte den Satz nicht zu Ende bringen, so aufgeregt war er.
„Das war Margrit Zettwitz. Ihre Eltern hatten heute abend Besuch von der Nachrichtenkontrolle, und Margrit wollte mir …“
„Kommen sie auch zu uns?“ unterbrach Lothar Hellmann seine Tochter barsch.
„Wer? Die Nachrichtenkontrolle?“
Hellmann nickte stumm.
„Du weißt doch, daß sie immer nur eine Wohnung pro Block besuchen“, sagte Irma lachend. „Was hast du denn da?“
Sie zeigte auf das Buch, das am Boden lag. Es war Hellmann aus der Hand gefallen, als der Summer ihn aufgeschreckt hatte.
Irma bückte sich und hob den Band auf.
„Wenn du wieder mal glaubst, daß die Nachrichtenkontrolle kommt, würde ich an deiner
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