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Metropolis brennt

Metropolis brennt

Titel: Metropolis brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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er Angst hat. Sei­ne Mut­ter hat ihm oft ge­sagt, daß er sich drau­ßen be­ei­len soll. Erst vor zwei/drei Wo­chen ist ein klei­nes Mäd­chen von ei­nem Mann über­fal­len und ver­ge­wal­tigt wor­den. Er rennt, rennt – hat den Woh­nungs­schlüs­sel be­reits in der Hand, er­reicht die Tür, rammt ihn ins Schloß, dreht ihn, stößt die Tür auf und schlüpft durch den Spalt hin­ein. Auf­at­mend schließt er die Tür hin­ter sich – und riecht den bei­zen­den Rauch, sieht die braun­gel­ben Wol­ken un­ter der Wohn­zim­mer­tür hin­durch­quel­len und hoch­stei­gen, im­mer hö­her, im­mer hö­her.
    Er schreit. Er reißt die Wohn­zim­mer­tür auf. Und er sieht sei­ne Mut­ter. Sie kau­ert in der Mit­te der Woh­nung, im Schnei­der­sitz, vorn­über­ge­beugt, einen ver­zück­ten Aus­druck auf dem Ge­sicht, die Hän­de auf den Kni­en, die Hand­flä­chen nach oben. Sie singt einen mo­no­to­nen Sings­ang.
    Die Woh­nungs­ein­rich­tung hat sie zer­trüm­mert, vor sich auf­ge­schich­tet und an­ge­zün­det. Gie­rig und dun­kel­rot und rück­sichts­los le­cken die Flam­men an den zer­trüm­mer­ten Mö­beln, den her­aus­ge­ris­se­nen Tep­pich­stücken em­por. Über­all ist Rauch. Sie singt im­mer noch, als die Män­ner in den wei­ßen Kit­teln kom­men und sie ab­ho­len. Sie wehrt sich nicht. Sie ist nicht mehr bei Ver­stand.
     
    Vharn er­in­ner­te sich gut an die­sen Tag, nur zu gut. Bald dar­auf war bei ihm die Cad­mi­um-Krank­heit aus­ge­bro­chen. Bei ihm hat­te es kei­ne drei­ßig Jah­re ge­dau­ert wie bei sei­nem Va­ter. Er war ein Wai­se, und nach­dem sei­ne Krank­heit er­kannt war, scho­ben ihn die re­gie­ren­den Vor­den­ker der Stadt in die Slums ab. Nein, sie mach­ten sich die Hän­de nicht schmut­zig.
    Und jetzt kehr­te Vharn im Schnee­trei­ben, bei ei­si­ger Käl­te, in die graue, tris­te Be­ton­stadt zu­rück, die sei­ner Mut­ter den Ver­stand ge­raubt, die sie mit ih­rer Men­schen­feind­lich­keit, mit ih­rer Ein­sam­keit ge­tö­tet hat­te.
    Un­re­gel­mä­ßig summ­te der Pro­grav, und manch­mal fiel er für drei, vier Me­ter völ­lig aus, aber Vharn schlepp­te sich wei­ter. Die Schmer­zen der Cad-Krank­heit wühl­ten in sei­nem Kör­per, trie­ben ihm die Trä­nen in die Au­gen, lie­ßen sie über sei­ne ein­ge­fal­le­nen Wan­gen rin­nen und dort ge­frie­ren und sei­ne Haut bren­nen, als wür­de sie von Tau­sen­den von rot­glü­hen­den Na­deln mal­trä­tiert. Er ging mit müh­sa­men Schrit­ten wei­ter. Er dach­te an Mir­ja, an ih­ren ge­mein­sa­men Spa­zier­gang im zen­tra­len Stadt­wald, und er wuß­te jetzt, daß er den lan­gen Atem hat­te.
    Er war ein Fre­ak, ein win­zi­ges Räd­chen in ei­nem großen Gan­zen, und für ein paar Ta­ge war er der Till Eu­len­spie­gel die­ser Stadt ge­we­sen, ei­ne Art Volks­held, der mit sei­nem Streich viel­leicht doch et­was be­wirkt hat­te …
    Heu­te wa­ren die Men­schen der Stadt wach­ge­rüt­telt, trotz Sys­kon­kon wach­ge­rüt­telt – heu­te, wo es um den al­ten Be­zirk des Wal­des ging.
    Da­mals war es um Men­schen­le­ben, um Fre­ak-Le­ben, ge­gan­gen.
    Vharn emp­fand kei­ne Bit­ter­keit dar­über, weil die Men­schen ein­mal mehr be­wie­sen, daß der Mensch im­mer hintan ge­stellt blei­ben wür­de, daß Men­schen für Men­schen im­mer zu­letzt ein­tre­ten wür­den.
    Er wuß­te, wie wich­tig der Wald war, für ihn, für die an­de­ren, für Nor­ma­le und Fre­aks. Er wuß­te es.
    Sein Ein­drin­gen in den Stadt­wald, die De­mons­tra­ti­on der Fre­aks und Au­ßen­sei­ter war ein An­fang ge­we­sen.
    Und es braucht vie­le An­fän­ge.
    Hier und heu­te wür­den sie al­le ver­eint sein.
    Das Schnee­trei­ben wur­de schlim­mer, doch Vharn kämpf­te sich ver­bis­sen vor­an. Er be­geg­ne­te nicht vie­len Leu­ten, und wenn, dann blieb er nicht ste­hen, weil er Angst hat­te, dar­auf­hin nicht mehr wei­ter­ge­hen zu kön­nen.
    Er sah die Wär­me­schil­der auf den selbst im Kunst­win­ter auf­ge­stellt ge­las­se­nen Stra­ßen­bän­ken: FÜR FRE­AKS IST DAS SIT­ZEN AUF DIE­SEN BÄN­KEN BEI STRA­FE VER­BO­TEN! Der Ober­stadt­füh­rer.
    Die Un­ter­grund­bahn konn­te er eben­falls nicht be­nut­zen, denn auch dies war ver­bo­ten. Fre­aks

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