Metropolis brennt
herumtreibst, und wir können dich jederzeit erledigen. Ein Knopfdruck, mehr nicht. Dein Körper hält nichts aus. Vergiß das nicht.
Und jetzt verschwinde. Viel Spaß in deinem zweiten Leben, denn es ist ein neues Leben, ein Leben, das du uns verdankst.“
„Ich habe euch auch mein erstes Leben verdankt“, sagte Vharn kalt, warf dem Mann hinter dem Schreibtisch einen mörderischen Blick zu, wandte sich ab und ging zur Tür. Das helle Neonlicht in dem Büro schmerzte in seinen Augen. Er konnte nicht mehr fühlen. Er war ausgebrannt. Leer. Nur noch eine Hülle, nur noch eine Schale. Mirja. Mirja, verdammt … Er führte diesen Gedanken nicht weiter, unterbrach ihn mit aller Gewalt, zu der er fähig war. Als er die Tür erreichte, holte ihn die Stimme des Mannes ein.
„Denk an Mirja. Denk an alles, was ich dir gesagt habe.“ Er lachte kalt. „Vielleicht sollte ich dir zum Abschied noch einen Witz erzählen, Freak. Weil du doch schließlich eine recht witzige Tat begangen hast, alles in allem gesehen. Ja, ich werde dir einen Witz erzählen, hör zu: Weißt du, weshalb die Cad-Freaks nur zwei Sarg-Träger benötigen?“
Vharn spürte eine widerwärtige Beklemmung in sich, sein Hals schien ihm zugeschnürt zu werden. Seine Rechte lag kalt und gefühllos auf dem Sensor-Öffner der Gleittür.
„Sie benötigen deshalb nur zwei Sarg-Träger, weil es noch immer keine Mülltonnen mit vier Tragegriffen gibt!“ Der Mann im weißen Kittel brüllte los vor Lachen, und Vharn würgte.
Aber er war frei. Er konnte gehen. Und er ging.
Warten
Er war kein Fühlender mehr, und er war auch kein Mensch; er war ein wandelnder Leichnam. Ein Cad-Freak.
Er kehrte in die Slums zurück, und die anderen begrüßten ihn überschwenglich, freuten sich, klatschten, jubelten, tanzten. Es war wie an einem der früheren Feiertage, damals, als sie trotz allen Widrigkeiten noch gefeiert hatten.
Aber Vharn konnte sich nicht freuen. Er war tot. Ausgebrannt. Alles umsonst. So viele Hoffnungen … Mirja … Aber er mußte auch an ihre Worte denken: Viele von den Leuten, die es so unheimlich eilig haben, Veränderungen herbeizuführen, geben am schnellsten auf, wenn die Sache nicht auf Anhieb klappt. Ja, sie hatte recht, es kam auf den langen Atem an. Hatte er ihn? Momentan hatte er ihn nicht. Er fühlte sich hundeelend, als würde das Ende des Pillenwahns von damals erst jetzt über ihn hereinbrechen, ihn Blut und Galle würgen lassen.
Vharn kehrte in sein Rattenloch in den Slums zurück, er verkroch sich, kauerte sich zusammen, wie sich damals sein Bewußtsein in seinem Schädel zusammengekauert hatte, damals, im Silbergespinst gefangen.
Er hatte nichts erreicht. Die anderen hatten nichts erreicht. Aber sie konnten sich wenigstens freuen. Er konnte sich nicht freuen. Er bereute es nicht, in den zentralen Stadtwald eingedrungen zu sein, und der Wald blieb seine schönste Erinnerung. Er hatte den Wald gesehen, das Zwielicht, die Harmonie – aber auch den Tod des Waldes. Zusammen mit Mirja … Diese Wunde schmerzte. Aber er wußte, Mirja würde ihn einen Kindskopf nennen, könnte sie jetzt bei ihm sein. Nur ein Kampf war verloren, vorerst verloren.
Vharn blieb in seinem Rattenloch in den Slums, auf den gigantischen Müllhalden, die die große Stadt umgaben, auf den Halden, auf denen achthunderttausend Menschen von den Abfallen einer Wegwerfgesellschaft lebten, auf denen Tag und Nacht ein furchtbarer Gestank herrschte. Er lauschte dem Jammern der Kranken und Sterbenden, die mit ihm das Rattenloch bevölkerten, lauschte dem Schreien und dem Streiten der Glas-, Altpapier- und Knochen- und Metallsammler und dem jähen, schwachen Rascheln im Dreck, dem hastigen Trippeln winziger Füße. Er fürchtete die Ratten nicht, denn es gab nicht sehr
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