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Metropolis brennt

Metropolis brennt

Titel: Metropolis brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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ge­gen die Front der Blau­en. Wun­der­te sich nicht, daß er warf, er, Han­sen. Dach­te nur: Bes­ser wer­fen als schrei­en. Bes­ser wer­fen als zu­sam­men­bre­chen und in ih­re Hän­de fal­len.
    … wur­de mit­ge­ris­sen von Flüch­ten­den. Schreie und Pa­nik. Flucht, vor­bei an ei­ner Bar­ri­ka­de von Müll­ton­nen, hin­ter der sich ein of­fen­sicht­lich or­ga­ni­sier­ter Trupp von Men­schen for­miert hat­te, hin­ter ei­ner we­hen­den Fah­ne, die ir­gend­wie aus dem Nichts auf­ge­taucht war.
    Flucht in ei­ne dunkle und schma­le Sei­ten­gas­se.
    Da war schon ei­ner. Ein Blau­er? Nein, auch nur ein Flüch­ten­der. Han­sen hielt einen Mo­ment in­ne, um Atem zu schöp­fen.
    Der an­de­re Flücht­ling – ein jun­ger Mann wie er – sprach ihn an: „Hast du schon ge­hört? Sie ha­ben ei­ne neue Tak­tik ge­gen uns.“
    Han­sen schüt­tel­te keu­chend den Kopf.
    „Sie ho­len sich Op­po­si­tio­nel­le von der Stra­ße und keh­ren sie um. So ei­ne Art Ge­hirn­wä­sche. Sie neh­men ih­nen ih­re al­te Iden­ti­tät weg und ge­ben ih­nen ei­ne neue. Auch einen neu­en Na­men. Es soll über ein Co­de­wort funk­tio­nie­ren, über ein Wort, daß Ekel­ge­füh­le bei dem her­vor­ruft, den sie um­po­len. Kei­ner weiß et­was Ge­nau­es. Aber vie­le sind ver­schwun­den in der letz­ten Zeit. Man muß auf­pas­sen!“
    „Ich weiß nichts da­von“, ant­wor­te­te Han­sen. „Und ich will auch nichts da­von wis­sen!“ Er hat­te ge­nug von dem ver­spon­ne­nen Ge­re­de der Leu­te. Wa­ren sie denn al­le ver­rückt ge­wor­den? Er ließ den an­de­ren ste­hen und rann­te wei­ter in die dunkle Gas­se hin­ein.
    Er ge­riet auf einen ver­kom­me­nen Hin­ter­hof mit öli­gen Pfüt­zen und ver­ros­te­ten Au­to­mo­bil­ka­ros­se­ri­en. Der Kampf­lärm im Hin­ter­grund trieb ihn an. Vorn ei­ne Mau­er. Oh­ne nach­zu­den­ken klet­ter­te Han­sen auf das Dach ei­nes ab­ge­wrack­ten Last­wa­gens, zog sich an der Mau­er hoch, sprang rü­ber.
    Auf der an­de­ren Sei­te lehn­te er sich an und ruh­te aus. Er wein­te sich den letz­ten Rest Trä­nen­gas aus den Au­gen.
    Wein­te hem­mungs­los und wuß­te nicht: Ist es das Trä­nen­gas, nur das Trä­nen­gas?
    Oben am Fir­ma­ment ris­sen die Wol­ken auf, ein vol­ler runder Mond spen­de­te mil­chi­ges Licht, das die Um­ris­se ei­nes rie­si­gen Trüm­mer­fel­des vor Han­sen ge­spens­tisch be­leuch­te­te. Ei­nes von die­sen Sa­nie­rungs­ge­bie­ten, die nur zer­stört, nicht aber sa­niert wor­den wa­ren.
    Noch im­mer ras­te Han­sens Herz halt­los, noch im­mer war sein Füh­len be­herrscht von dem Ge­dan­ken: Weg von hier!
    Schwer­fäl­lig bahn­te sich Han­sen einen Weg durch die Trüm­mer, staks­te ein­sam über Stei­ne, Stahl­trä­ger, bre­chen­des Glas. Noch im­mer blink­te sein Leucht­punkt­gür­tel, sinn­los, als wol­le er die Rat­ten war­nen, die Han­sen auf­merk­sam mit ih­ren tücki­schen ro­ten Au­gen um­lau­er­ten.
    Han­sen trat auf et­was Wei­ches. Er bück­te sich er­schro­cken, hob es auf.
    Es war ei­ne Stoff­pup­pe. Ih­re Ar­me hin­gen in Fet­zen, das Kleid muß­te ein­mal rot ge­we­sen sein. Ihr im Mond­licht geis­ter­haft blas­ses Ge­sicht starr­te ihn aus to­ten, schwar­zen Au­gen an. Aus dem Rücken hing ein Fa­den. Han­sen zog dar­an.
    „Ma-ma“, sag­te die Pup­pe, lang­ge­zo­gen und kla­gend. „Ma-ma.“
    „Ma-ma“, wie­der­hol­te Han­sen, lang­ge­zo­gen und kla­gend. „Ma-ma.“
    „Ma-ma, sie tun mir weh!“
    Fas­sungs­los ließ sich Han­sen auf einen Stein sin­ken. Mein Gott, dach­te er, was re­dest du da? Mut­ter, mein Gott, Mut­ter. Hat­te er ei­ne?
    Han­sen dach­te an­ge­strengt nach, fühl­te sich leer und aus­ge­brannt. Spür­te Übel­keit. Kotz­te einen Schwall grü­ner Gal­le in den Dreck. Saß ver­lo­ren auf dem Stein, fror und zit­ter­te. Emp­fand das Trüm­mer­feld um sich her­um plötz­lich als das Trüm­mer­feld sei­ner See­le.
    Hat­te er ei­ne Mut­ter, hat­te er über­haupt je­man­den?
    Er war Her­bert Han­sen. Ge­bo­ren in Dort­mund am 4. 4. 1963.
    Er hat­te ei­ne Mut­ter ge­habt, aber die war früh ge­stor­ben. Er war im Wai­sen­haus auf­ge­wach­sen. Er leb­te nicht in ei­ner Ehe, ei­ner

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