Metropolis brennt
den Schreibtisch reichte, und las leise vor:
„1 Sparbuch. Kontostand: DM 7583,10
1 Zulassungsbescheid zum Studium an der Bismarck-Universität
je 1 Rasierapparat, Zahnbürste, Zahnpasta, Handtuch
1 Tafel Schokolade
1 Portemonnaie. Inhalt: DM 152,19
sowie eine Fahrkarte zweiter Klasse zum Studienort
je 1 Personalausweis, Reisepaß, Führerschein, Identitätskontrollkarte auf den Namen: Hansen, Herbert.“
„Alles da“, sagte Hansen.
Hesse stand auf und reichte ihm die Hand. „Dann auf Wiedersehen, Herr Hansen.“
„Aber eines würde mich doch noch interessieren. Wie bin ich denn nun eigentlich hierhergekommen?“
„Was weiß ich. Sie sind eingeliefert worden. Nach ihrem Zusammenbruch konnte man keine körperlichen Gebrechen feststellen, so kamen sie eben zu uns. Wir sind ein psychologisches Spezialinstitut, wie Sie ja wahrscheinlich schon wissen. Aber machen Sie sich keine Sorgen, Sie sind jetzt vollkommen in Ordnung.“
Hesse betonte das „Jetzt“ und wartete lauernd eine Reaktion ab, aber Hansen gab sich mit dieser Erklärung zufrieden. Hansen verabschiedete sich noch von Fräulein Körner, nahm dann seine kleine Handgelenktasche und wandte sich zum Gehen.
„Hansen!“
„Ja?“
„Was werden Sie jetzt tun?“
„Ich beginne ein neues Leben. Ich habe endlich einen Studienplatz erhalten. In einer anderen Stadt. An der Bismarck-Universität!“
„Na dann viel Glück!“
„Danke, kann’s gebrauchen!“ Hansen lächelte noch einmal, dann schloß er die Tür hinter sich.
Fräulein Körner blickte ihm nach. „Eigentlich ein netter junger Mann, dieser Gerold. War er vorher wirklich so ein …?“
„Ganz großes Kaliber sogar nach der Aktenlage. Aber jetzt heißt er ja Hansen. Nur daß wir ihm die Kleine Nachtmusik nehmen mußten, das ist schade. Sehr schade das.“
„Ja, Dr. Hesse.“
Draußen war Nacht. Eisige, kalte, feuchte Nacht. Dunkle Nacht. Die Straßenlaternen standen wie tote Stahlgerippe in Reih und Glied und brannten nicht. Tote Soldaten, einsam Wache haltend und sinnlos.
Am Himmel oben Lichtpunkte, Sterne des Firmaments, wenige hell, viele matt, alle weit, weit weg. Kein Mond.
Unten, auf den Straßen zwischen den Häuserfluchten, dichtgedrängt an den schwitzenden Mauern, ein Strom von wirbelnden Lichtpunkten. Rot und Grün, manchmal Weiß. Das waren die Menschen, die durch die Nacht eilten, das waren die aktivierten Leuchtpunktgürtel der Menschen. Verkehrssignale im Fußgängerstrom: Wer Grün sah, wußte, da kommt einer; wer Rot sah, wußte, da geht einer vor dir; wer Weiß sah, wußte, da steht oder geht einer seitwärts. Man gab sich in der Dunkelheit nicht mehr als Person zu erkennen, sondern als Verkehrsobjekt.
Auch Hansen wußte das, es war ihm vertraut, obwohl er sich seltsam fremd gegenüber diesem Gewirr von Punkten fühlte, seltsam fremd, wenn jemand schemenhaft aus dem Dunkel an ihm vorbeiging und aus seinen Konturen in Bruchteilen von Sekunden identifiziert wurde als Mann, Frau, Kind, Greis, rauchend oder nicht rauchend. Das waren keine Personen, sondern Schatten von Personen, flüchtig, ungreifbar, unwirklich, nur bestehend aus einem Lämpchen in der Mitte ihres Körpers, die entweder grün, rot oder weiß leuchteten.
Hansen, der noch unschlüssig im Eingang des Gebäudes stand, aus dem er kam, konzentrierte sich auf einen der grünen Punkte, ließ ihn direkt an sich vorbeiziehen (Frau, schnell, Nichtraucherin, nach der Lage des Gürtels klein und schlank, vielleicht noch sehr jung), orientierte sich dann an ihrem roten Punkt und folgte ihr. Er aktivierte seinen Leuchtpunktgürtel und war jetzt selbst ein Wesen mit vier Punkten: vorn grün, hinten rot, an jeder Seite weiß. Er schlug den
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