Metropolis brennt
die Heimtöchter aufnehmen und das Sammelblut in Warmbehälter ablassen, um daraus Heilsäfte zu machen. Mayda legte den Kopf in den Nacken. Der Himmel war erschreckend fern. Hoffentlich gewöhnte sie sich bald daran. Jenseits des Heimhorizonts schob sich ein glänzender Ball über die Treibwolken. Tscherlan hob beide Arme.
„Das Licht, das Leben und Wärme schenkt“, intonierte er und neigte kurz den Kopf. „Ein neuer Tag. Möge er erfolgreich sein.“ Sie schritten weiter, an Borkhügeln vorbei, die mit einer Patina aus glitzerndem Rauhreif bedeckt waren, an Mulden, in denen Eis schimmerte, an Großpilzpflanzungen, die ihren eigenen Lumineszenzschimmer erzeugten. Mal war die Borke zu ihren Füßen dick und dunkel, dann wieder hell und so dünn, daß man die darunterliegenden Existenzadern des Heims erkennen konnte. Mayda sah die Zischporen, die sie bisher nur vom Hörensagen gekannt hatte: winzige Öffnungen im Leib des Heims, aus denen frische Warmluft nach Außenwelt driftete.
„Hier sind es nur wenige“, sagte Tscherlan lachend, als er ihre Verwunderung bemerkte. „Du müßtest mal die Zischporen weiter drüben bei den Steuerern sehen. Da würdest du staunen! Sie sind wichtig für die Steuerung des Heims und die Stabilität der Atmosphäre.“
„Ich weiß“, sagte Mayda. Tscherlan hob überrascht die Augenbrauen und lachte. Sein Lachen war so ansteckend, daß Mayda nach kurzem Zögern ebenfalls kicherte, zum ersten Mal seit Tagen.
„Na also, so gefällst du mir schon besser.“
Pilz- und Tulpenwälder blieben schließlich hinter ihnen zurück, und der Horizont des Heims kam näher. Die Stimme des Windes verstärkte ihr Wispern und Flüstern. Manchmal zerrten Böen an Maydas zierlicher Gestalt, und dann klammerte sie sich fester an Tscherlan, um nicht davongeschleudert zu werden. In den Schuppzonen kratzten in dicke Rochenpelze gehüllte Männer die tote Außenborke ab, damit die Regeneration des Heims erleichtert wurde. Aus den großen, dünnen Schuppen mochten in geschickter Arbeit neue Hohlboote werden, mit denen Fänger und Jäger hinausflogen in die Wolkenregionen, auf der Suche nach Wolkenrochen, Himmelsplankton oder den nahrhaften Krillschwärmen. Jenseits der Schuppflächen, nahe am Horizont, ragten die Feststämme von Glattnarzissen in die Höhe. Sie waren fest in der Außenborke verankert, und selbst die stärksten Böen des Höhenwindes vermochten sie nicht daraus zu lösen. Mit Tauen aus geflochtenen Fasern waren einige Hohlboote daran befestigt. Langsam und sanft trieben sie hin und her, bereit, auf Fahrt zu gehen.
„Ho!“ rief Tscherlan schon von weitem, und die Stimmen anderer Männer antworteten ihm sofort. „Ho, Tscherlan! Wir haben schon auf dich gewartet.“
„Das ist meine Besatzung“, sagte Tscherlan und winkte. „Die Besatzung des Himmelsfalken.“ Das Lächeln Maydas verflüchtigte sich, als sie den Männern näher kamen und sie in ihre Gesichter blickte. Spiegelte sich erst Freude darin, so wich sie Aufmerksamkeit und dunklen Schatten, als sie Tscherlans Begleiterin erkannten. Mayda sah sich um. Zu Tscherlans Fanggruppe gehörten ein Windmacher, ein Contrabitter, ein Planktonlokalisierer – eine Heimtochter aus den Kalbbereichen der Innenwelt, von den Kalbern eigens für die Aufgabe vorgesehen, Plankton zu lokalisieren –, eine Netzwerferin und Tscherlan selbst, ein erfahrener Jäger.
„Ist alles bereit?“ fragte er und schob sein Gesicht in den Wind. Er schnüffelte. Alles in Ordnung. Der Duft war stabil. Gutwetter für einen Fangflug.
„Ja.“ Die Antwort kam zögernd. Der Windmacher deutete auf das leuchtend rote Segnungsmal am Rumpf des Hohlbootes, das sich über seinem Kopf im Wind wiegte. „Der Weise war hier und hat seinen Segen ausgesprochen.“ Wieder das Zögern. „Allerdings wußte er nicht … willst du sie mitnehmen?“
„Wen? Mayda? Ach so … ja, natürlich. Sie muß viel lernen. Und Wissen aus erster Hand ist wertvoll. Außerdem ist sie der Bittstimme mächtig. Vielleicht kann sie uns helfen.“
„Man sagt …“ Der Windmacher vollführte eine unsichere Geste. Es war ein junger Mann, nur einige wenige Zyklen älter als Mayda. Sie spürte keine Ablehnung in seiner Gedankenstimme, nur Furcht.
„Was sagt man?“ fragte Tscherlan herausfordernd und stemmte beide Arme in die Hüften. Der Contrabitter schob den Windmacher beiseite. Er ähnelte dem Jäger, was die Körperstatur anbelangte, und er war auch in seinem Alter.
„Man sagt, sie
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