Metropolis brennt
Blick stand.
„Damals, als ich dir deinen Prograv repariert habe, hast du nicht verstanden, was ich gemeint habe, nicht wahr?“
„Die Sache mit den Demonstrationen und den Renten?“
Sie nickte stumm.
„Es hat sich ziemlich radikal angehört, um so mehr, weil du es gesagt hast – eine Frau. Aber ich habe darüber nachgedacht. Ich glaube, ich habe es dann auch verstanden. Es imponiert mir – gerade, weil es eine Frau gesagt hat. Ich will nicht mehr nur herumsitzen und Gedichte schreiben. Mit Gedichten bewirkt man nicht sehr viel – nicht in einer solchen Gesellschaft. Sagen wir so: Ich habe eingesehen, daß ich schon sehr viel Zeit verloren habe. Man darf diese Zustände nicht als gegeben hinnehmen. Du warst der Auslöser.“
„Jetzt bist du also ungeduldig?“
„Das ist doch ein Schritt vorwärts, oder?“
„Nicht unbedingt“, sagte sie langsam. „Viele von den Leuten, die es so unheimlich eilig haben, Veränderungen herbeizuführen, geben am schnellsten auf, wenn die Sache nicht auf Anhieb klappt. Es kommt auf den langen Atem an.“
„Ich weiß nicht, ob ich diesen langen Atem habe“, gestand er ein. „Ich will, daß es anders wird … menschlicher.“
„Sind wir deshalb hier? Ich frage, weil wir darüber eigentlich nie gesprochen haben.“
„Die Idee, in den Stadtwald einzudringen, die hatte ich schon, bevor wir uns begegnet sind. Es war eine fixe Idee – ich wollte einmal in meinem Leben den Wald sehen, richtig sehen, ihn nicht nur in den Sensi-Programmen vorgegaukelt bekommen. Glaub mir, ich habe mich danach gesehnt, hier Spazierengehen zu dürfen, diese Ruhe zu erleben … Es hat lange gedauert, bis ich es gewagt habe. Wie gesagt, du warst der Auslöser. Und jetzt … jetzt kann ich es gar nicht richtig verarbeiten. Verrückt. Es ist so schön, aber auch so gespenstisch. Ich weiß nicht. Ich muß doch darüber nachdenken.
Ich wollte etwas ganz und gar Verrücktes anstellen. Dann ist die Neugier dazugekommen: Kann ich es schaffen? Komme ich in den Wald hinein? Schließlich wurde es zu einer Herausforderung. Ich bin ein Freak, Mirja.
Alles zusammen – Sehnsucht nach dem Wald, Neugier, Herausforderung –, deshalb sind wir hier. Ich glaube, ich habe mir das bisher selbst noch nicht eingestehen wollen oder können. Ich habe mich gefreut, als du gesagt hast, du möchtest mitkommen. Ich habe mich gefreut, weil du keine Fragen gestellt hast, obwohl du genau gewußt hast, wie gefährlich es werden würde.“
Mirja sagte: „Aber mittlerweile siehst du ein, daß es nicht mehr nur um uns, beide geht.“
Er nickte ernst. „Ich versuche, mir die Schlagzeilen vorzustellen.
BIZARRES PAAR – KRÜPPEL UND STREETERIN – DRINGT IN DEN STADTWALD EIN! Für die einen wäre es ein Eulenspiegel-Streich, für die anderen eine tödliche Beleidigung. Eine Provokation, eine neue Chance, nach noch härteren Polizei-Gesetzen und noch entschlossenerem Durchgreifen zu schreien.“
„Aber solche Schlagzeilen würden uns auch helfen, uns schützen. Wer durch Eulenspiegeleien bekannt geworden ist, den können die Stasis nicht mehr so einfach und stillschweigend eliminieren.“
„Das hat mir schon einmal jemand gesagt. Wenn sie uns erwischen, Mirja, dann geht das nicht mehr als Kavaliersdelikt durch, nicht für diese Machthaber. Womit tatsächlich gewisse Dinge ins Rollen kommen würden. Ja, das habe ich kapiert.“
„Diese Dinge, die dann ins Rollen kommen würden – das könnte den anderen Freaks aber möglicherweise nicht recht sein. Du bringst sie damit auch in Gefahr … Denk an die Progravs.“
„Ich bin nur einer ihrer Bettler-Poeten, aber ich habe mit ihnen auf der letzten Volkszusammenkunft darüber gesprochen, und du wirst dich wundern: Es ist ihnen sogar sehr recht. Die Unzufriedenheit existiert schon lange, nicht nur bei den Freaks, auch bei den anderen Außenseitern. Du weißt, wie wir leben müssen. Was haben wir also schon zu verlieren? Was fehlt, ist ein Funke. Ein neuer Funke, nachdem so viele andere Funken nicht gezündet haben. So oder so, unser Spaziergang hier bewirkt also etwas, er hat einen Sinn, da hast du völlig recht. Und zwar einen Sinn nicht nur für dich oder mich …“
„Also hast du Vorkehrungen getroffen?“ warf sie überrascht ein.
„Ich wollte den Wald sehen, zusammen mit dir. Ich habe mit den anderen darüber geredet … und je mehr ich darüber geredet und nachgedacht habe, desto klarer ist mir geworden, daß das nicht mehr nur meine Angelegenheit war. Andere
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