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Metropolis brennt

Metropolis brennt

Titel: Metropolis brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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stärker.
    Mirja stieß sich ab, ihr knabenhafter, geschmeidiger Körper spannte sich an, ein Gefühl unendlicher Freiheit blitzte grell auf; Mirja flog durch die Luft – die Zeit blieb stehen. Dieses Bild brannte sich in seinen Geist ein, setzte sich mit schmerzhafter Intensität fest.
    Schnee stäubte, flog, wallte nebelgleich, als Mirja fiel, sich überschlug, sich immer wieder überschlug – und den sanft geneigten Wald-Abhang hinunterkullerte.
    Noch immer lachte sie.
    Eine lebende Lawine.
    Und er dachte an die Jäger. Durften sich Mirja und er so sicher fühlen? Konnten ihnen die Jäger wirklich nichts anhaben? Was, wenn sie sofort das Feuer auf sie eröffneten? Wenn sie sie nicht anhörten, nicht begriffen, daß es eine gewollte Provokation war?
    Wind kam auf, bewegte sacht die Zweige, ließ Schneekörner in die Luft aufsteigen, davontreiben, irgendwo niedergehen.
    Die Pillen sorgten wieder dafür, daß er Sonnenstrahlen sah, wo es nur milchige Geisterfinger gab, Geister-Sonnenstrahlen, die den Schnee verzauberten, ihn unter ihren tupfenden Berührungen glitzern und schimmern und gleißen ließen … Juwelenkristalle erglühten zu Tausenden und aber Tausenden und erloschen. Düstergrau-Violett kam. Die Wirkung der Pillen verebbte, versiegte, und …
    Irgendwo heulten Sirenen, fern, aber der Ton war so grausam und schrill auf- und abschwellend und seelendurchdringend, daß er ihn sehr deutlich hörte.
    Mirjas Lachen und Kichern brachen jäh ab.
    Ihr Fall war zu Ende. Vharn kam, eilte den Abhang hinunter, das Sirenengeheul war eine Geißel, die ihn vorwärts peitschte. Eine Wunde tief in seiner Seele brach auf, und heraus quoll: ANGST ; Mirja, Mirja. Sie lag so still im Schnee, so reglos, eine zerbrochene und weggeworfene Gliederpuppe, weiß das Gesicht, weiß wie Porzellan, schwarz die Augen.
    Ein störender, beunruhigender Flecken inmitten unberührter Natur.
    ANGST . Um Mirja, und nicht nur um sie.
    Die Sirenen …
    Als er sich neben ihr niederknien wollte, richtete sie sich auf, stemmte sich auf die Ellenbogen hoch, dann auf beide Handflächen, schüttelte den Kopf, versprühte Eiskristalle und Schneeflocken aus ihren langen Haaren – aber sie lachte nicht mehr.
    Angst brannte auch in ihren Augen, in ihrem Fühlen und Denken.
    Eine grelle jähe Angst, aber auch ein Trotz und der eiserne Wille, dem System die Stirn zu bieten. Eine Entschlossenheit, die ihm beinahe Schmerzen bereitete, denn er erkannte, um wieviel stärker als er sie doch war.
    „Sie kommen“, hauchte Mirja.
    „Ja.“ Es hatte keinen Sinn, sie mit einer Lüge zu verunsichern. „Sie haben uns registriert. Und sie waren langsam – wir sind seit fast einer Stunde im Wald.“
    „Wir können uns auf deine Freunde verlassen?“
    „Es sind nicht meine Freunde – es sind Leidensgenossen, die bisherige schweigende Mehrheit …“ Er reichte ihr die Hand, sagte nichts mehr, hatte noch immer das Abbild der glücklichen, unbeschwerten, übermütigen Mirja vor Augen, die den Abhang hinunterrollte, die Schneestürme von den Zweigen toben ließ, die allein durch ihre Berührungen Leben geboren hatte, Leben in einem erstarrten, leeren, toten Wald … „Wir können uns auf sie verlassen“, vollendete er dann seinen Satz.
    „Ich werde sie auslachen“, nahm sie sich vor, als sie Seite an Seite davonrannten. „Die Jäger, meine ich.“
    Ein Brausen erfüllte die Luft; noch war es nicht nahe genug, nur eine vage Andeutung von kommendem Unheil.
    Beide hörten sie es. Keiner von ihnen ging darauf ein. Die Jäger kamen. Das war eine Tatsache.
    Sie mußten schneller sein. Sie hasteten die Rinne entlang, links und rechts wuchsen Abhänge empor, über ihnen hohe Tannen, weißgezuckert, frosterstarrt. Kein Himmel mehr, keine Phantomsonne. Düsternis.
    Keine Zeit mehr für die Schönheiten dieses toten Heiligtums. Flucht. Angst. Vielleicht auch Panik. Panik, die langsam, jedoch ununterdrückbar wütender brodelte, tief in ihm, tief in ihr, dort, wo nur er sie bewußt fühlen konnte.
    Mirjas Atem flog. Die fahlgoldene Aura der Unbekümmertheit war erloschen, war von einem wilden, grellen Farbenreigen ersetzt. So jedenfalls sah er es. Er war nicht stark genug, wirklich nicht. Die Flucht strengte ihn an, er konnte sich nicht mehr konzentrieren, die Ruhe und der Frieden waren zerstört.
    Sie hasteten einen Abhang empor, die Schneedecke war pockennarbig, denn von den hohen Tannen mußten Schneeklumpen gefallen sein und das unberührte Weiß zerhackt

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