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Meuterei auf der Deutschland

Meuterei auf der Deutschland

Titel: Meuterei auf der Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klecha Walter Hensel
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besonders drastisch empfundene und beschriebene Entwicklungen, die einer Entfaltung der individuellen Freiheit entgegenstehen.
    Man kann aus dieser Agenda leicht eine sozialliberale Grundorientierung herauslesen. Die Ideen entsprechender Vordenker wie Karl-Hermann Flach und Ralf Dahrendorf scheinen bei den Piraten eine neue Heimat gefunden zu haben. Das Bauchgefühl und die von vielen Piraten im Wiki der Partei vorgenommene ideologische Selbstverortung deuten ebenfalls auf eine gewisse Nähe hin. Auch das öffentliche Auftreten der Partei spricht dafür: Insbesondere in den Wahlkämpfen 2009 haben die Piraten ihren Anspruch, eine Bürgerrechtspartei zu sein, stark hervorgekehrt. Anlässlich der Debatte um Netzsperren verlieh man der Befürchtung Ausdruck, Deutschland stünde kurz davor, zum digitalen Überwachungsstaat zu werden.
    Man erkennt auf den ersten Blick, dass die Piraten hier an Diskussionen und Werthaltungen anschließen, die in der bundesdeutschen Geschichte tief verwurzelt sind. Die grundsätzliche Skepsis gegenüber staatlichen Eingriffen und das grundsätzliche (wenn auch labile) freiheitliche Selbstverständnis sind ein Erbe des Nationalsozialismus sowie des SED -Regimes. Dieses zu mobilisieren und in konkrete politische Anliegen zu übersetzen, ist freilich nur in bestimmten Situationen möglich. So gerieten die Rechte und Freiheiten der Bürger zu Beginn des neuen Jahrtausends angesichts der politischen Reaktionen auf die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus ohne allzu viel Wiederstand in die Defensive. Erst als die Erinnerung an die Anschläge vom 11. September 2001 allmählich verblasste und das Bundesverfassungsgericht mehrfach intervenierte, haben sich die Koordinaten der Diskussion wieder verschoben. Davon profitieren nun zweifellos auch die Piraten.
    Ausgehend vom Schutz der Privatsphäre der Bürger entwickeln die Piraten in ihrem Programm – quasi als Antithese zum Schreckbild des »gläsernen Bürgers« – die Forderung nach einem »gläsernen Staat«. Sie greifen damit die für eine Demokratie essenziellen Werte der Nachvollziehbarkeit und Transparenz auf. Leicht lassen sich daraus Forderungen ableiten, die auf eine partielle Reform des politischen Systems hinauslaufen, die aus Sicht der Piraten notwendig ist, weil Entscheidungen für Bürger schwer zu durchschauen seien und stark von Lobbyinteressen beeinflusst würden. Als Gegenmittel fordert die Partei, die Informationsansprüche der Bürger bzw. Auskunftspflichten des Staates auszuweiten, auch die Entscheidungsprozesse innerhalb der Regierung und der Behörden sollen offengelegt werden. Zugleich fordern die Piraten Elemente direkter Demokratie, um repräsentative Verfahren zu ergänzen bzw. in Teilen zu ersetzen. Es handelt sich dabei um Forderungen und Werte, die das Milieu, die Subkultur bzw. die Szene prägen, in der die Piraten ursprünglich entstanden sind. Man will sich selbstgesteuert vernetzen und ungehindert zusammenarbeiten; elementare Voraussetzungen dafür sind unter anderem Informalität, Offenheit und Transparenz. All das gehört zuder unter Internetnutzern weitverbreiteten »Ideologie der Freiheit« (Castells 2005, S. 47 f.).
    Die Piratenpartei ist damit weltanschaulich und kulturell attraktiv für Angehörige eben jener Internetkultur, sie bietet aber zugleich eine eigene Variante der radikalen Kritik am Zustand und den Mechanismen der repräsentativen Demokratie. Der Humus, auf dem die Forderungen der Piraten gedeihen, ist allerdings überaus heikel: In der Kritik an der angeblichen Intransparenz des politischen Systems verstecken sich allerlei Vorurteile und Fehlannahmen über die Funktionsweise von Politik. Genau genommen verbergen sich dahinter idealistische, ja fast schon naive Vorstellungen. Elemente des Parlamentarismusverständnisses, das im 19. Jahrhundert als damals zeitgemäße Antwort auf obrigkeitsstaatliche und plutokratische Verhältnisse entwickelt wurde, tauchen plötzlich wieder auf: die freie Rede, der Widerstreit der Argumente, die vollkommene Unabhängigkeit von Interessen, Fremdeinflüssen und Zwängen.
    Auch hier lassen sich eindeutige Parallelen zur Netzkultur und vor allem zum Alltags- und Berufsleben jener Personen ausmachen, die bei den Piraten aktiv sind. Gerade die Angehörigen der Gründergeneration scheinen mit klassisch strukturierten Großorganisationen wenig Erfahrung gemacht zu haben. Ihr Verständnis von organisierter Kollektivität basiert auf biografischen Erlebnissen

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