Meuterei auf der Deutschland
Infrastruktur verkennen, dass in komplexen Gesellschaften eine marktförmige Steuerung oft sehr effizient ist. Insbesondere für bestimmte endliche Ressourcen ist durch eine verursachungsgerechte Zuordnung eines Teils der Kosten ein leicht nachvollziehbarer Anreiz zum schonenden Verbrauch gegeben. Anderenfalls bedarf es oft sehr komplizierter Sanktionsmechanismen gegenüber jenen, die den freien Zugang für individuelle Vorteile zulasten der Allgemeinheit missbrauchen. Die Forderungen zum Urheberschutz stufen zudem schöpferische Leistungen in den Bereichen Wissen und Kulturproduktion teilweise zu lediglich verdienstvollen Gütern herunter, deren Urheber allenfalls beschränkte Vermarktungsrechte besitzen sollen. Sie sollen am Ende eher eine Art »Finderlohn« erhalten – aber keinen weitreichenden Verwertungsschutz genießen.
Die Piraten haben durchaus erkannt, dass sie damit die bestehenden Formen der Wissens- und Eigentumsaneignung in ihrem Wesen angreifen. Wie bereits bei den Ansichten zur Neugestaltung der Demokratie haben wir es auch hier mit idealistischen, ja ansatzweise naiven Vorstellungen zu tun. Dass eine Abschaffung des privaten Patentschutzes von Wissenschaftlern, die an staatlichen Hochschulen arbeiten, gerade die bestehenden Strukturen stabilisieren könnte, wird ausgeblendet. Die Piraten berücksichtigen nicht, dass Verlage und Plattenfirmen mit den Einnahmen, die sie mit profitablen Autoren, Musikern oder Künstlern erzielen, vielfach auch Neueinsteigern den Weg ebnen. Auch die Rolle und die Vermachtungsstrategien von Plattformen wie Google oder Facebook scheint man nicht allzu ausführlich reflektiert zu haben (Leggewie 2012, S. 237).
Dieser kurze Streifzug durch das Programm der Piratenpartei sollte jedenfalls gezeigt haben, dass der Vorwurf einer Verengung auf Netzpolitik, der von den Medien immer noch häufig erhoben wird, keineswegs gerechtfertigt ist. Wohl strahlt hingegen die Funktionsweise des Internets auf die Ideen und politischen Forderungen der jungen Partei aus.
Im Zuge der jüngsten Wachstumsschübe hat sich auch die soziale Zusammensetzung der Piraten verändert, was wiederum Folgen für ihre programmatische Ausrichtung hat. Zur Kernklientel der ersten Generation traten nach der Europawahl vor allem die sogenannten Digital Natives hinzu. Diese verfügen nicht zwingend über profundere Computer- oder Internetkenntnisse als die Veteranen, sie gehen mit den neuen technologischen Möglichkeiten allerdings müheloser und selbstverständlicher um. Dementsprechend stellten sie dann auch nicht den kulturellen und organisatorischen Kern der Partei infrage – wohl aber den programmatischen.
Für die Digital Natives war der Versuch der Bundesregierung, Netzsperren gegen kinderpornografische Seiten einzuführen, quasi das zentrale politische Erweckungserlebnis. Den angestauten Frust über die etablierten Parteien übersetzten sie damals in politisches Handeln. Die Netzsperren waren ihnen ein Symbol für die Inkompetenz des politischen Systems, das es nun zu ändern galt. Ihre Interessen reichten somit weit über netzpolitische Anliegen hinaus bzw. hatten mit diesen teilweise nur noch bedingt zu tun. In der Folge wurde dann von diesen neuen Piraten selbst der Gründungsmythos der schwedischen Piratenpartei, die Abschaltung von The Pirate Bay, ein wenig verächtlich abgetan (Becker/Scheuermann 2011). Schließlich zahlten sie bei iTunes ohnehin bereitwillig für Musik, Videos oder Apps. Ihnen ging es im Kern eher um die soziale Interaktion im Internet. Auf Facebook, Twitter, MySpace oder Studi VZ kommentierte man schließlich auch politische Fragen, regte sich über die Lage im Schul- und Hochschulwesen auf oder ärgerte sich, wenn der öffentliche Nahverkehr nicht funktionierte. Aus dieser Perspektive heraus formulierte die zweite Generation ihre Ansprüche an die Politik ihrer neuen Partei: An die Stelle unverbindlicher Kommunikation im Internet sollte konkretes politisches Handeln treten.
Auch wenn sie ebenfalls Bezüge zur Netzkultur aufweisen, sind die von den Digital Natives aufgeworfenen Fragestellungen also anders akzentuiert. Altersbedingt – die neuen Piraten haben zu einem großen Teil ihre Berufsausbildung oder ihr Studium noch nicht abgeschlossen – sind Bildungspolitik und die sozialstaatliche Absicherung der eigenen, oft als prekär empfundenen Biografie zentrale Ansatzpunkte. Der Zugang zu diesen Politikfeldern und das praktische Vorgehen sind dabei spielerisch. Man nähert
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