Meuterei auf der Elsinore
aber im selben Augenblick, als ich das Licht ausschaltete, begann das verdammte Jucken von neuem. Wada war noch nicht zu Bett gegangen, und ich ließ mir deshalb von ihm etwas Cremor Tartari geben. Das half indessen nicht im geringsten, und als ich um Mitternacht die Wache ablösen hörte, schlüpfte ich in meinen Hausanzug und ging auf die Kampanje.
Ich sah, daß Mellaire jetzt die Hundewache hatte und seinen regelmäßigen Trott auf und ab an der Backbordseite der Kampanje begann. Ich schlüpfte nach achtern, vorbei hinter dem Mann am Ruder, den ich nicht erkennen konnte, und suchte mir einen windgeschützten Platz in Lee des Ruderhauses. Und wieder einmal studierte ich das düstere Gewirr der segeltragenden Masten und Rahen, wieder einmal dachte ich an die verrückte, faule Mannschaft, und böse Ahnungen überfielen mich. Wie konnte eine solche Reise möglich sein mit solch einer Mannschaft, auf der großen Elsinore, einem Frachter, der nur eine einen halben Zoll dicke Stahlschale war, beladen mit fünftausend Tonnen Kohlen? Es war erschreckend, daran zu denken. Die Reise war vom ersten Tage an schiefgegangen. In der bösen Unausgeglichenheit, die jeder Schlafmangel im Gemüt eines guten Schläfers erweckt, kam ich jetzt schon zu der Erkenntnis, daß die Reise zu einem bösen Ende verdammt war. Doch wie verdammt sie in Wahrheit war, das konnten weder ich noch ein Wahnsinniger träumen.
Ich dachte an das feinhäutige Fräulein West mit dem raschen, roten Blut, das immer gelebt hatte und sicher keinen Zweifel kannte, daß sie immer leben würde. Ich dachte an den grausamen und musikliebenden Herrn Pike. Viele Sklaventreiber und Leutehetzer wie er waren auf einer letzten Reise zugrunde gegangen. Was Kapitän West anging, so zählte er nicht. Er war ein zu neutrales Wesen, zu weit weg, eine Art geschätzter Passagier, der nichts zu tun hatte. Dann erinnerte ich mich des Griechen, dessen Wunden Herr Pike genäht hatte und der jetzt fiebernd zwischen den Stahlwänden des Mittschiffshauses lag. Dieses Bild gab mir fast den Rest, denn in meiner erhitzten Phantasie stellte er die ganze verrückte, hilflose, idiotische Mannschaft dar. Nein, ich mußte nach Baltimore zurück! Gott sei Dank besaß ich die Mittel, meinen Einfall zu erfüllen. Hatte mir nicht Herr Pike auf eine Frage erwidert, daß er die laufenden Unkosten der Elsinore auf zweihundert Dollar den Tag schätzte? Ich konnte es mir leisten, zweihundert Dollar täglich zu zahlen, oder zweitausend für die Anzahl von Tagen, die erforderlich war, um mich zurück an Land oder an Bord eines Schiffes, das Kurs auf Baltimore nahm, zu bringen.
Ich war mir schon vollkommen einig darüber, hinunterzugehen, Kapitän West zu wecken und ihm meinen Entschluß mitzuteilen, als ein anderer Gedanke den ersten lähmte: Dann hast du, der Denker, der Philosoph, also Furcht, unterzugehen, Furcht, in der Dunkelheit zu erlöschen? Bah! Mein eigener Stolz auf die Stolzlosigkeit gegenüber meinem Leben rettete Kapitän Wests Schlaf vor der Unterbrechung. Natürlich würde ich das Abenteuer fortsetzen, wenn es ein Abenteuer zu nennen war, Kap Hoorn mit einer Schiffsladung von Narren und Tollhäuslern – oder schlimmeren – zu umsegeln; denn ich erinnerte mich der drei Babylonier und Hebräer, die Herrn Pikes Zorn erregt und die selber so schrecklich und schweigend gelacht hatten.
Nette Nächte! Schlaflose Gedanken! Ich scheuchte sie alle fort und wollte nach unten gehen, da ich ganz durchgekühlt war. Aber an der Tür des Kartenhauses stieß ich auf Herrn Mellaire.
»Ein schöner Abend, Herr Pathurst«, begrüßte er mich. »Nur dumm, daß wir keinen Wind haben, der uns auf die hohe See bringt.«
»Was halten Sie eigentlich von der Mannschaft?« fragte ich ihn, als wir einen Augenblick nebeneinander standen.
»Ich habe viele merkwürdige Mannschaften in meinem Leben gesehen, Herr Pathurst, aber noch keine wie diese. Knaben, Greise, Krüppel und… haben Sie nicht gesehen, wie Tony, der Grieche, vorgestern über Bord sprang? Na, das ist nur der Anfang. Haben Sie den kleinen vertrockneten Schotten bemerkt?«
»Der immer so mürrisch und bösartig aussieht und der vorgestern abend am Ruder stand?«
»Eben den – Andy Fay heißt er. Nun, Andy Fay hat sich soeben bei mir über O’Sullivan beklagt. Er sagt, daß er ihm das Leben bedrohe. Als Andy Fay abgelöst wurde, um acht, fand er O’Sullivan dabei, sein Rasiermesser zu schleifen. Ich werde Ihnen die ganze Unterhaltung
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