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Meuterei auf der Elsinore

Meuterei auf der Elsinore

Titel: Meuterei auf der Elsinore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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Vollblutengländer. Seine Sprache war sehr gewählt, und ich erinnere mich bestimmt, daß sie sogar einen Oxforder Tonfall hatte. Auch er war alt, um die Sechzig, wenn er auch nur neunundfünfzig zugeben wollte. Dreierlei fiel mir besonders an ihm auf: sein Lächeln, das sein ganzes glattrasiertes Asiatengesicht mit den schiefen Augen umfaßte, seine außergewöhnlich regelmäßigen, weißen Zähne, die ich für falsch hielt, bis der allwissende Wada mich eines Besseren belehrte; endlich seine Hände und Füße. Seine lächerlich kleinen, aber schöngeformten Hände waren es, die mich veranlaßten, mir auch seine Füße anzusehen. Auch sie waren lächerlich klein und sehr gut, fast stutzerhaft beschuht.
    Gegen Mittag setzten wir den Lotsen ab, aber die Britannia bugsierte uns noch einige Stunden und warf erst los, als das offene Meer vor uns lag und das Land nur noch als ein schmaler blauer Streifen am Horizont zu sehen war. Erst jetzt begann unsere Reise wirklich, wenn seit unserer Abfahrt von Baltimore auch schon gut vierundzwanzig Stunden vergangen waren.
    Als der Schlepper loswarf, stand ich am Kampanjebogen und schaute voraus. Fräulein West trat zu mir. Sie hatte in der Kajüte zu tun gehabt und war nur heraufgekommen, um – wie sie sich ausdrückte – ein bißchen frische Luft zu schöpfen.
    Sie beobachtete den Himmel mehrere Minuten in äußerst sachverständiger Weise und sagte dann: »Das Barometer steht heute sehr hoch… Die Brise wird noch lange anhalten. Entweder schläft der Wind ein, oder er dreht sich. Dann gibt es eine Nordostkühlte.«
    »Was würden Sie denn vorziehen?« fragte ich.
    »Die Kühlte selbstverständlich. Sie bringt uns eher vom Lande weg und hilft mir außerdem schneller durch das Fegefeuer der Seekrankheit hindurch. Ja, ja«, fügte sie hinzu, »ich habe zwar gute Seebeine – aber am Anfang jeder Reise leide ich entsetzlich. Sie werden mich wahrscheinlich einige Tage nicht zu sehen bekommen.«
    »Ich habe irgendwo gelesen, daß sogar Nelson nie eine gewisse Übelkeit überwand, wenn er auf See war«, sagte ich.
    »Ich habe auch meinen Vater gelegentlich seekrank gesehen«, antwortete sie. »Auch einige von den stärksten und abgehärtetsten Seeleuten, die ich je gekannt habe.«
    Pike hielt einen Augenblick in seinem unaufhörlichen Auf- und Abwandern an Deck inne und lehnte sich neben uns an den Kampanjebogen. Ein Teil der Mannschaft arbeitete auf dem Deck unter uns. Meinem unerfahrenen Blick erschienen sie noch abstoßender als bisher.
    »Eine nette Sammlung, Herr Pike«, sagte Fräulein West.
    »Die schlimmste, die ich je gesehen habe«, knurrte er, »und ich habe doch was erlebt in der Beziehung.«
    »Sie sehen so verhungert aus«, bemerkte ich.
    »Sind sie auch«, antwortete Fräulein West, und ihre Augen glitten mit demselben abschätzenden Viehhändlerblick, den ich bei dem Steuermann bemerkt hatte, über die Männer hin. »Aber sie werden bald dicker, wenn sie regelmäßige Mahlzeiten und keinen Whisky bekommen. Nicht wahr, Herr Pike?«
    »Sicher. Sie werden sehen, wie sie aufleben werden, wenn wir sie erst richtig herannehmen. Denn es ist eine verdammt faule Gesellschaft.«
    Ich sah hinauf in die mächtigen Berge von Segeltuch. Auf unseren Masten wären in allen Richtungen Segel aufgebläht, aber dennoch setzten die Matrosen unter Befehl Mellaires immer noch dreieckige klüverähnliche Segel zwischen den Masten. Die Langsamkeit und Ungeschicklichkeit der Mannschaft war dabei so groß, daß ich den Steuermann fragte: »Was würden Sie mit dieser Mannschaft machen, Herr Pike, wenn es jetzt Sturm gäbe und Sie alle Segel gesetzt hätten?«
    Er zuckte die Achseln, als ob ich ihn gefragt hätte, was er bei einem Erdbeben in New York tun würde, wenn ihm die Wolkenkratzer auf den Kopf fielen.
    »Was wir machen würden?« antwortete Fräulein West an seiner Statt. »Die Segel herunterholen. Oh, das geht schon, Herr Pathurst, mit jeder Mannschaft. Sonst wäre ich schon längst ertrunken.«
    »Sicher«, stimmte der Steuermann ihr bei. »Und ich auch.«
    »Die Offiziere können reine Wunder vollbringen, selbst mit der schlechtesten Mannschaft«, fügte sie hinzu.
    Wieder nickte Pike zustimmend. Unwillkürlich betrachtete ich seine beiden gewaltigen Fäuste, die sich ganz unbewußt ballten.
    »Ich erinnere mich, wie wir einmal San Francisco mit einer ganz hoffnungslosen Besatzung verließen«, lachte Fräulein West. »Es war die Lallah Rookh – Sie erinnern sich doch, Herr

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