Meuterei auf der Elsinore
wiedergeben, wie Andy sie mir erzählte:
›Da sagte O’Sullivan zu mir: ‚Herr Fay, ich möchte Ihnen mal was sagen!’ – ‚Heraus damit’, sagte ich. ‚Was willst du?’ – ‚Verkaufen Sie mir Ihre Stiefel, Herr Fay’, sagte er sehr höflich zu mir. ‚Aber was willst du denn damit?’ fragte ich. ‚Sie würden mir einen großen Gefallen damit erweisen, Herr Fay’, sagte er. ‚Schon möglich’, sagte ich. ‚Aber es sind meine einzigen, und du hast doch selbst welche.’
,Herr Fay, die brauche ich bei schlechtem Wetter’, sagte O’Sullivan. ‚Ich werde sie in Seattle bezahlen, wenn ich die Heuer kriege’, sagte er. ‚Nicht zu machen. Und außerdem hast du mir gar nicht gesagt, was du damit anfangen willst’, sagte ich. ‚Aber das will ich Ihnen sagen, Herr Fay’, sagte er. ‚Ich will sie über Bord schmeißen.’ Da drehte ich mich um und wollte weggehen, und da sagte O’Sullivan ganz höflich, und dabei schliff er weiter an seinem verdammten Rasiermesser: ,Herr Fay’, sagte er. ,Wollen Sie so freundlich sein und mal herkommen? Ich möchte Ihnen gern die Kehle abschneiden.’ Und da wußte ich, daß mein Leben in Gefahr ist, und nun komme ich vertrauensvoll zu Ihnen, Steuermann, denn dieser Mann ist verrückt, Steuermann!‹«
»Oder wird es bald«, meinte ich. »Ich habe ihn schon beobachtet – das ist doch der große Bursche, der immer vor sich hinmurmelt?«
»Das ist er«, antwortete Mellaire.
»Gibt es viele von der Sorte auf See?« fragte ich.
»Mehr als mir lieb ist, Herr Pathurst.«
Er steckte sich eine Zigarette an. Mit einer raschen Bewegung nahm er die Mütze ab, beugte den Kopf und hielt das flackernde Streichholz hoch, damit ich sehen konnte.
Ich sah einen graumelierten Kopf und einen Schädel, der nicht kahl, aber doch nur teilweise mit Haar bedeckt war. Und quer über diesen Schädel lief die furchtbarste Narbe, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Das Streichholz erlosch, ich sah die Narbe deshalb nur flüchtig, aber ich hätte schwören mögen, sie war so tief, daß ich zwei Finger hätte hineinlegen können. Sie war eine nur mit Haut überzogene Kerbe, und ich bin fest überzeugt, daß das Gehirn selbst direkt unter der Haut lag.
Er setzte die Mütze wieder auf und lachte heiter und beruhigend.
»Ein verrückter Schiffskoch war es, der mich so zurichtete, Herr Pathurst. Mit seiner verfluchten Fleischaxt! Wir waren mehrere tausend Meilen von jedem Hafen entfernt – in der Südsee –, aber der Koch hatte sich in den Kopf gesetzt, daß wir im Hafen von Boston lagen und ich ihm nicht erlauben wollte, an Land zu gehen. Ich kehrte ihm gerade den Rücken und ahnte deshalb nicht, was eigentlich mit mir geschah.«
»Aber wie haben Sie nur eine so furchtbare Verwundung überstehen können?« fragte ich ihn. »Sie müssen eine außergewöhnliche Zähigkeit besitzen.«
Er zuckte die Achseln.
»Ich lag in meiner Koje – viele Wochen lang – es war eine verdammt lange Fahrt – und als wir Hongkong erreichten, war das Ding geheilt, und ich hatte schon wieder die Wache als Dritter Steuermann übernommen – damals fuhren wir immer mit drei Steuermännern.«
Es sollten viele Tage vergehen, bis ich erfuhr, welche Rolle diese Narbe an Mellaires Kopf noch in seinem Schicksal und dem der Elsinore spielen sollte. Hätte ich es damals schon gewußt, so wäre Kapitän West auf die ungewöhnlichste Weise in seinem Leben und mit dem seltsamsten Ansinnen aus dem Schlaf geweckt worden. Ein nur halbbekleideter, aber zu allem entschlossener Passagier hätte ihm den Vorschlag gemacht, die Elsinore mitsamt ihrer ganzen Ladung zu kaufen und sie geradewegs nach Baltimore zurückzusteuern.
Wie die Dinge aber lagen, so hielt ich es nur für eine wunderbare und höchst merkwürdige Sache, daß Herr Mellaire schon so viele Jahre mit einem Loch in seinem Schädel lebte. Wir sprachen weiter miteinander, und er erzählte mir viele andere Erlebnisse zur See – namentlich mit Verrückten, die die See in besonderem Maße unsicher zu machen schienen. Und dennoch konnte ich mich mit dem Manne nicht aussöhnen. Freilich fand ich weder in dem, was er sagte, noch in der Art, wie er es erzählte, irgend etwas, das nicht in Ordnung gewesen wäre. Es wurde mir an sich nicht schwer, seine allzu süßliche Sprechweise und seine übertrieben höflichen gesellschaftlichen Formen zu übersehen. Das war es also nicht. Obgleich ich aber hier im Dunkeln nicht einmal seine Augen sehen konnte, hatte ich doch
Weitere Kostenlose Bücher