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Meuterei auf der Elsinore

Meuterei auf der Elsinore

Titel: Meuterei auf der Elsinore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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Pike?«
    »Das fünfte Kommando Ihres Vaters«, nickte er. »Erlitt später Schiffbruch an der Westküste. Lief bei dem großen Erdbeben auf.«
    »Ja, das Schiff meine ich. Unsere Mannschaft schien damals nur aus Kuhjungen, Maurern und Landstreichern zu bestehen. Kaum hatte der Schlepper losgeworfen, begann es zu wehen. Da vollbrachten unsere Steuermänner aber reine Wunder… Erinnern Sie sich an Silas Harding?«
    »Ob ich mich erinnere!« rief Pike begeistert. »Das war ein Mann. Aber er muß schon alt gewesen sein!«
    »Ja«, bestätigte sie. »Ein furchtbarer Mann war er.« Sie wandte sich an mich. »Er war unser Steuermann. Die Männer waren alle seekrank und lauter unbefahrene Leute. Aber Harding kriegte doch die Segel herunter. Einer von den Grünlingen, ein Landstreicher – er hatte Herrn Harding offenbar schon von der richtigen Seite kennengelernt –, fiel von der Großuntermarsrahe. Glücklicherweise ins Großsegel, überschlug sich und landete an Deck auf den Füßen, ohne daß ihm etwas passiert war, aber zu seinem Pech direkt vor Harding. Ich weiß nicht, wer erstaunter war, aber ich glaube fast, Harding, denn er stand wie versteinert da – er hatte natürlich erwartet, den Mann zerschmettert zu sehen. Dem Mann aber erging es anders – er warf nur einen Blick auf Harding, dann sprang er wie ein Wilder in die Takelung und kletterte schleunigst wieder zu seiner Rahe hinauf.«
    Fräulein West und Pike lachten so herzlich wie über einen guten Witz. Daß eine Dame und noch dazu eine so entzückende wie Fräulein West solche Dinge kannte und in diese Seite des Seemannslebens so tief eingeweiht war, gefiel mir nicht recht. Es bedeutete eine Verhärtung des Feinsten in ihrem Charakter – und das behagte mir gar nicht.
    Ich betrachtete sie wieder, und wieder sah ich, wie fein ihre Haut war. Das Haar war dunkler als ihre Augenbrauen, die gerade und ziemlich niedrig über den mandelförmigen Augen lagen. Die Iris war grau, von einem warmen Grau, ihr Blick war ruhig und fest, klug und lebhaft. Wenn man ihr Gesicht als Ganzes betrachtete, war das Bemerkenswerteste daran vielleicht der Ausdruck von tiefer Ruhe. Sie schien immer im Gleichgewicht, im Frieden mit sich selbst und der Welt zu sein. Beim Lächeln zeigte sie nur selten ihre Zähne, denn sie schien eigentlich nur mit den Augen zu lächeln. Wenn sie aber lachte, sah man die weißen Zähne, starke, gesunde, normale Zähne. Schön würde ich sie wohl nicht genannt haben, aber sie besaß vieles von dem, was eine Frau zu einer Schönheit macht. »Fräulein West hat soeben den Wetterpropheten gespielt«, sagte ich zu dem Steuermann. »Jetzt möchte ich gern wissen, was Sie vom Wetter denken?«
    Pike ließ seinen Blick über die leise wogende Fläche des Meeres und über den Himmel schweifen. Einen Augenblick studierte er noch genau See und Himmel. »Bei dem hohen Barometerstand sollte ich fast meinen, daß wir eine leichte Kühlte aus Nordost bekommen werden… oder der Wind flaut ab, was eigentlich das Wahrscheinlichste ist.«
    Fräulein West warf mir einen triumphierenden Blick zu, hielt sich dann aber plötzlich am Bogen fest. Die Elsinore wurde durch eine außergewöhnlich hohe Dünung gehoben, um gleich darauf wieder ins Wellental zu sinken. Dann schlingerte das Schiff unter donnerähnlichem Knattern der Segel nach Lee.
    »Der Wind stillt schon, er läuft Schulen«, sagte Fräulein West, mit einem Anflug von Ärger. »Und wenn es so weitergeht, muß ich in wenigen Minuten ins Bett kriechen.«
    Sie lehnte mein Mitgefühl ab.
    »Machen Sie sich meinetwegen keine Sorgen, Herr Pathurst… Die Seekrankheit ist scheußlich und unappetitlich; aber ich will lieber seekrank sein als Hitzepickel haben.«
    Die Männer an Deck schienen wieder eine Dummheit begangen zu haben, nach der erhobenen Stimme Mellaires zu schließen. Ein Teil der Mannschaft trug in ihren Gesichtern deutliche Spuren von Schlägen – besonders einer von ihnen hatte ein so geschwollenes Auge, daß er es nicht einmal öffnen konnte.
    »Es sieht aus, als ob er in der Dunkelheit gegen eine Deckstütze gelaufen wäre«, sagte ich.
    Sehr beredt – aber auch ganz unwillkürlich und unbewußt – war der schnelle Blick, den Fräulein West auf die riesigen Fäuste des Steuermanns warf, deren Knöchel ganz frische Hautabschürfungen trugen. Dieser Blick gab mir einen tiefen Stich ins Herz: Sie wußte Bescheid.

    An diesem Tage aßen wir drei Männer unser Mittagessen allein. Der Tisch war mit einem

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