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Meuterei auf der Elsinore

Meuterei auf der Elsinore

Titel: Meuterei auf der Elsinore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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was für ein Schiff das gewesen sein kann, das vor acht Jahren hier kenterte«, sagte er dann, als spräche er mit sich selber. »Ich werde Mellaire mal fragen, wie das Schiff hieß.«
    Dann schritt er wieder zur Tür, blieb aber plötzlich stehen, als ob ihm etwas Neues eingefallen wäre: »Sagen Sie, Herr Pathurst, sollen es nicht zufällig achtzehn Jahre sein?«
    Ich schüttelte energisch den Kopf. »Acht Jahre. Dessen erinnere ich mich ganz genau.«
    Pike sah mich nachdenklich an, wartete, bis die Elsinore wieder einigermaßen gleichlastig wurde, und verabschiedete sich. Dann ging er auf die Diele hinaus.
    Ich glaube seine Gedanken zu kennen. Schon seit langem kenne ich sein einfach fabelhaftes Gedächtnis für Schiffe, Offiziere, Ladungen, Stürme und Schiffbrüche!
    Es ist auch klar, daß er sich in die Lebensgeschichte Sidney Walthams vertieft hat. Er läßt sich aber nicht träumen, daß Mellaire Sidney Waltham sein könne, sondern meint lediglich, Mellaire sei vielleicht vor achtzehn Jahren ein Schiffskamerad von Waltham gewesen, und zwar auf dem Schiff, das damals kenterte. Mellaire hätte wirklich vorsichtiger sein sollen.

    Je öfter ich Fräulein West sehe, desto besser gefällt sie mir; ich will keine Erklärung dafür suchen, ich weiß nur, daß sie ein Weib ist, und zwar ein begehrenswertes. Eigentlich bin ich ja doch stolz darauf, ein Mann zu sein. All die Zeit, die ich nachts auf Studien verwendete, hat mich also doch nicht gänzlich verderben können. Dieser eine Satz hat mich wie mit einem Zauber gebannt: Ein Weib und begehrenswert, und er hallt unaufhörlich in meinem Hirn wider. Ich mache gern weite Umwege, nur um Fräulein West flüchtig durch eine angelehnte Kabinentür oder in der Ferne in einem Gang zu sehen, ohne daß sie eine Ahnung davon hat. Ihr Haar ist wundervoll, ihre weiche Anmut ist wie ein Zauber! Oh, ich weiß schon, wie die Frauen in Wirklichkeit sind, aber dieses Wissen macht sie nur noch wunderbarer. Ich weiß – und ich verpfände meine Seele für die Richtigkeit meiner Behauptung – ich weiß, daß Fräulein West mich tausendmal als ihren künftigen Gatten betrachtet hat, wenn ich einmal mit diesem Gedanken gespielt habe. Und dennoch… sie ist ein Weib und begehrenswert!
    In diesem Bericht werde ich sie überhaupt nicht mehr Fräulein West nennen. Sie hat von jetzt an aufgehört, Fräulein West zu sein. In meinen Gedanken heißt sie nur Margaret. Margaret West! Welche geheimnisvolle Zauberkraft liegt in diesem Namen! Er enthält Stolz, Herrschertum und Abenteuer auf wilden Meeren und Eroberungen wilder ferner Welten. Die Geschichte unserer westwärts wandernden Rasse ist in ihm geschrieben. Wenn ich ihn leise vor mich hinspreche, sehe ich das Bild schlanker, hochbordiger Schiffe, die Flügelhelme eisenbeschuhter, ruheloser Männer, das Antlitz königlicher Liebender, königlicher Abenteurer, königlicher Kämpfer!
    Und… da ich gerade daran denke: Sie ist vierundzwanzig Jahre alt. Ich habe nämlich Pike gefragt, wann der Zusammenstoß der Dixie mit dem Dampfer in der Bucht von San Francisco erfolgte. Vor zwölf Jahren – und damals war Margaret zwölf Jahre alt.
    Es ist so viel zu erzählen. Wo und wie diese verrückte Reise mit der verrückten Mannschaft enden wird, davon kann man sich überhaupt keine Vorstellung machen! Aber die Elsinore läuft immer weiter, jeder Tag ihrer Geschichte wird mit Blut geschrieben. Und während dieses ganze schwimmende Drama sich immer mehr den eisigen Stürmen von Kap Hoorn nähert, flüstere ich furchtlos und besessen immer wieder vor mich hin: Margaret – ein Weib! Margaret – und begehrenswert!
    Doch zurück zu meinem Bericht. Es ist heute der erste Juni. Seit dem Pampero sind schon zehn Tage verstrichen. Seitdem sind wir durch Nebel, Regen und Sturm weitergesegelt und befinden uns jetzt fast auf der Höhe der Falklandinseln. Die Küste von Argentinien liegt westlich von uns hinter dem Horizont, und zu irgendeiner Stunde heute haben wir den fünfzigsten Grad südlicher Breite passiert. Hier beginnt die eigentliche Fahrt um Kap Hoorn, denn so berechnet der Fachmann sie: vom fünfzigsten Grad im Atlantischen bis zum fünfzigsten Grad im Stillen Ozean.
    Unsere Wetteraussichten sind gut. Die Elsinore läuft bei günstigem Winde weiter. Aber es wird mit jedem Tage kälter. Der große Ofen in der Kajüte prasselt, im ganzen Achterteil des Schiffes ist es warm und gemütlich. An Deck aber ist die Kälte schneidend; Margaret und ich müssen

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