Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meuterei auf der Elsinore

Meuterei auf der Elsinore

Titel: Meuterei auf der Elsinore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
Vom Netzwerk:
schlingerte die Elsinore weiter durch die hohle glatte Dünung, während wir uns langsam dieser drohenden, schwarzen Wand näherten. Im Osten tobte ein Gewitter, und Blitze flammten dort auf, aber die schwarze Masse vor uns wurde von seltsamem Flackern und Wetterleuchten zerrissen.
    Bald aber legten sich auch die Windstöße. In den Pausen zwischen dem Donnern des heraufziehenden Gewitters erreichten uns die Stimmen der Männer, die auf den Rahen waren, als befänden sie sich direkt neben uns und nicht mehrere hundert Fuß von uns entfernt. Beide Quartiere arbeiteten unter dem Kommando der Steuermänner, während Kapitän West in seiner gewohnten gleichgültigen Art auf der Kampanje auf und ab wanderte. Wenn er einen Befehl erteilte, tat er es so leise, als ob er sich mit dem Steuermann privat unterhielte – und auch nur, wenn Pike selbst die Kampanje betrat, um eine Frage zu stellen.
    Und dann kam der Wind. Kam aus der Dunkelheit vorn mit der Plötzlichkeit eines Blitzes. Und gleichzeitig überfiel uns auch die schwarze Dunkelheit – man konnte sie sozusagen greifen. Es gibt keinen andern Ausdruck, dies zu beschreiben, als den alten Gemeinplatz, daß man keine Hand vor Augen sehen könne.
    Die erzene Stimme des Seehelden klang durch das Brüllen des Sturmes.
    »Helm in Lee«, lautete sein hell klingender Sturmruf an den Rudergast. »Helm in Lee«, rief der Rudergänger zurück, undeutlich, unklar mit halberstickter, heiserer Stimme. Dann kamen die Blitze über uns. Sie badeten uns in ihren blauen Flammen, jedesmal minutenlang. Und unterdessen brüllte und dröhnte der Donner unaufhörlich. Es war ein unheimliches Schauspiel – hoch oben das schwarze Gerüst von Spieren und Masten, von allen Segeln entblößt. Darunter die Matrosen, die wie riesige Käfer herumkletterten, um die Rahesegel zu bergen. Die wenigen Segel unter ihnen, die noch gesetzt waren, schimmerten weiß, drohend unheimlich… und endlich, ganz unten: Deck und Brücke und Hütten der Elsinore und ein Gewirr von wehenden Tauenden und Klumpen und Knäuel von menschlichen Wesen, die schwankend heißten und halten.
    Was jetzt geschah, weiß ich nicht. Nur das weiß ich, daß ich hin und wieder die erzene Stimme hörte. Dann brach tiefe Dunkelheit über uns herein, und der Regen ergoß sich in gewaltigen Strömen. Man hatte den Eindruck, daß der Regen nicht nur von oben, sondern auch von unten kam, er durchdrang alles, bahnte sich seinen Weg in meinen Südwester durch das Ölzeug, unter meinen enggeschlossenen Kragen und in die großen Seestiefel hinein. Ich war betäubt und halb bewußtlos durch diesen gewaltsamen Angriff von Donner und Blitz, Wind, Dunkelheit und Wasser. Und doch stand die ganze Zeit neben mir auf der Kampanje der Herr und Meister ruhig und besonnen und offenbarte den elenden Geschöpfen drunten seine Weisheit und seinen Willen. Und sie gehorchten ihm. Aus aller Kraft halten sie die Brassen an, fierten Schote, braßten Rahen um, geiten Bauchgordinge auf, ließen Bulinen gehen, beschlugen und refften die mächtigen Segel oder ließen sie killen.
    Genau weiß ich also nicht, was geschah, aber Fräulein West und ich klammerten uns eng aneinandergepreßt an den Bogen an. Meinen Arm hatte ich um sie gelegt, mit der anderen Hand hatte ich den Bogen gefaßt. Ihre Schulter preßte sich eng an mich, ihre eine Hand ballte sich um den Aufschlag meines Ölrocks. Eine Stunde später gingen wir über die Kampanje zum Kartenhaus – wir mußten uns gegenseitig helfen, den Halt nicht zu verlieren, weil die Elsinore in der immer schwerer werdenden See stampfte und bockte. Aber die Krisis war überstanden, das Schiff lebte, und wir lebten. Mit Gesichtern, von denen das Wasser troff und in denen unsere Augen heiter strahlten, sahen wir uns an und lachten fröhlich im hellen Licht des Kartenhauses.
    Am Fuß der Treppe sagte ich ihr gute Nacht. Als ich an der offenen Tür der großen Kajüte vorbeiging, warf ich einen Blick hinein. Dort saß Kapitän West, den ich noch immer an Deck geglaubt. Seine Sturmkleidung hatte er schon abgelegt und die Seestiefel durch elegante Hausschuhe ersetzt. Er saß gemütlich zurückgelehnt in einem der großen Klubsessel. Mit weit geöffneten Augen starrte er durch den Rauch seiner Zigarre auf irgendwelche Visionen, die sich ihm vor dem Hintergrund der wild schwankenden Kajütenwand zeigten.
    Um elf Uhr heute morgen erlitt der Plata aber ein Fiasko. Letzte Nacht war es ein richtiger Pampero gewesen, wenn auch ein

Weitere Kostenlose Bücher