Mexiko, mein anderes Leben (German Edition)
plötzlichen Unfall. Nichts hatte vorher darauf hingedeutet, dass dies geschehen konnte. In dem leeren großen Haus lag ein Abschiedsbrief von seiner Frau: Sie hatte sich für einen anderen Mann entschieden und war nach dreißig Jahren Ehe einfach gegangen. Seine letzten Habseligkeiten hatte sie in diesen Lagerraum bringen lassen.
Tagelang waren wir nun damit beschäftigt, alles zu sortieren und das, was er behalten wollte, irgendwo unterzubringen. Robert musste diesen Abschnitt seines Lebens endgültig abschließen und loslassen. Wehmut und Trauer flammten kurze Zeit in ihm auf, aber das Glück, dass wir zusammengefunden hatten, verdrängte die Gedanken an die Vergangenheit. Die Zeit in Kelowna konnte nicht schnell genug vergehen. Wir wollten weiter, wollten weg, und die Schmerzen, die Robert hier erlitten hatte, vergessen. Roberts Kinder waren glücklich, dass wir beide ein Paar waren und ihr Papa endlich wieder ein anderes Leben beginnen konnte. Alle Abschiede lagen hinter uns. Viele Tränen waren geweint, viele Umarmungen und viele Gedanken ausgetauscht, alles war gesagt, alles war getan. Jetzt wollten wir endlich unseren gemeinsamen Weg gehen, der für mich ein ganz unbekannter sein sollte. Aber die Neugier und die Abenteuerlust waren stärker in mir, als die Zweifel und die Angst vor der ungewissen Zukunft.
Kapitel 6
Endlich waren wir bereit für die lange Fahrt von Südwestkanada nach San Diego in Kalifornien. Unser Jeep war voll beladen mit vielen Koffern und allen möglichen Dingen, die wir überall in jede freie Lücke oder Ritze des Autos verstaut hatten. Wenn Robert nicht so gut organisiert wäre, dann hätten wir auf unserer langen Reise niemals mehr das gefunden, was wir gerade brauchten und wir brauchten immer sehr viel. Der Jeep war jetzt für die nächsten Tage und Wochen unser Zuhause und da musste wirklich alles stimmen, sollte unser Leben nicht in ein Chaos ausarten.
Von diesem Tag an nahmen wir uns vor, unser Leben und unsere Zukunft nur noch in Abschnitten zu sehen. Nicht zu weit vorauszuschauen, sondern immer das nächste Ziel vor Augen zu haben. Dieses nächste Ziel war jetzt der Süden der USA und von Kelowna über Umwege fast 4500 km entfernt. Wir wollten zwar so schnell wie möglich unser Ziel erreichen, aber wir nahmen uns auch Zeit, um alles zu sehen und in uns aufzunehmen, was wir auf dieser Fahrt erlebten. Das war für mich so viel, manchmal zu viel und mehr als ich innerlich bereit war zu verarbeiten. Oft war ich so müde und meine Augen konnten all das Neue zwar sehen, aber es drang manchmal nicht bis zu meinem Geist vor. So viel Neues, so viel Schönes und ich wollte alles in mir abspeichern. Aber die Festplatte in meinem Kopf war manchmal voll und ich musste sie reinigen, um wieder neue Daten empfangen zu können. Das einzige Hilfsmittel, das ich hatte, war mein Fotoapparat, der auf seinem Chip deutlich mehr speichern konnte.
Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie wir durch San Francisco und über die Golden Gate Bridge fuhren. Oft hatte ich davon gehört und nun war ich mit Robert selbst auf dieser berühmten Brücke. All diese großen Wolkenkratzer zu sehen, das war so unwirklich wie die Fotos oder die Bilder aus dem Fernsehen. Doch es war die Gegenwart, in der ich mich befand. Viele Nächte haben wir auf dieser Reise in unserem vollbepackten Jeep geschlafen, aber manchmal suchten wir auch ein Motel, damit wir uns mal wieder richtig lang in einem Bett ausstrecken konnten.
Diese amerikanischen Motels liebte ich über alles, denn dort parkte man das Auto fast vor dem Bett. Es war alles so einfach, ganz anders als in Deutschland. Die Motels sind in Amerika sehr billig und sie vermitteln ein Gefühl von Freiheit. Nicht planen: Nur anhalten, vor dem Zimmer parken, einchecken und gleich reinfallen in ein großes Bett. Morgens aufstehen, duschen, mit noch nassen Haaren schnell frühstücken und dann weiterfahren. Bald waren wir in Los Angeles und in Hollywood. Bevor ich Zeit hatte, alles zu verarbeiten, ging es schon weiter: nach Bodega Bay auf den Spuren von Alfred Hitchcocks „Die Vögel“. Dort war die Zeit stehengeblieben. Alles war so, wie ich es im Film gesehen hatte, nur die Vögel kamen nicht. Immer wieder dachte ich, das bin nicht ich, die das alles erleben darf.
Dann ging es weiter nach Santa Monica und Malibu. Dort habe ich das erste Mal das Wasser des Pazifiks an meinem Körper
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