Mexiko, mein anderes Leben (German Edition)
Monaten durch den Verwesungsprozess aufgelöst haben. Aber das hier war kein Tier, sondern ein Mensch, ein Mann. Er lag so eigenartig unnatürlich verrenkt dort auf der schmutzigen Straße. Sein hageres Gesicht sah trotz der braunen Haut fahl und bleich aus. Die Augen waren weit aufgerissen, der Mund war zu einer furchterregenden Grimasse verzogen und sein Körper lag in einer Blutlache. Dieses Bild von dem toten Mexikaner ist noch immer in meinem Kopf und ich kann es nicht auslöschen. Es war so entsetzlich und wir konnten erst gar nicht begreifen, dass dort vor uns auf der Straße ein toter Mensch lag. Ein Mexikaner.Erschlagen, gefallen, erschossen oder überfahren, das wussten wir nicht. Vielleicht wurde er auch Opfer eines Drogenkrieges, denn Mexiko ist bekannt für seine hohe Drogenkriminalität, der täglich viele Menschen zum Opfer fallen. Wir wussten nur eins: Diese Stätte des Grauens wollten wir so schnell wie möglich hinter uns lassen, denn helfen konnten wir nicht mehr und unser natürlicher Egoismus sollte jetzt siegen, bevor wir uns noch selbst in Gefahr brachten. Wir waren Fremde in einem fremden Land. Nicht mehr in Deutschland, nicht in Kanada, nicht in den USA. Die Sprache war uns fremd, und obwohl wir im Normalfall angehalten hätten, um Hilfe zu holen, hätte dies hier ein großer Fehler sein können. Wir waren jetzt in Mexiko.
Wenn ich heute darüber nachdenke, dann habe ich ein schlechtes Gewissen, dass wir nicht ausgestiegen sind. Aber was hätten wir denn tun können, an einem Ort, wo in jeder Ecke die Gefahr lauerte? Robert startete den Motor und wir fuhren langsam um diesen Toten herum. Schweigend setzten wir die Reise fort. Endlich ging die Sonne auf und mit ihrer großen Kraft konnte sie auch unsere dunklen Gedanken etwas vertreiben. Wir fuhren weiter in Richtung Süden. Die schlimmen Bilder von Tijuana wurden immer blasser, doch vergessen können wir sie nicht. Das Elend, die Armut, die Aggressivität und die Gewalt. Die bettelnden Kinder und die Menschen an ihren Lagerfeuern, die vielleicht kein anderes Zuhause kannten.
Die Straße war noch sehr gut und führte uns durch viele kleine Dörfer, die Ruhe und Zufriedenheit ausstrahlten. Bald schlängelten wir uns ganz dicht an der Pazifikküste entlang und neue, schöne Bilder prägten sich in unsere Köpfe ein. Wir waren noch ausgeruht und Robert steuerte mit Sicherheit den Jeep. Hoffentlich blieb das auch so, denn der schlimmste Teil von diesen 1600 km stand uns noch bevor.
Die Etappen unserer Strecke rauschten nur wie ein Film an uns vorüber. Rosarito, eine Stadt mit 100 000 Einwohnern und vielen Touristen, die in schönen Hotels mit herrlichen Anlagen ihren Urlaub genossen. Aber wir hatten keine Zeit, denn bald kam die Nacht und bis dahin wollten wir noch viele Kilometer hinter uns bringen. In der Nähe von Rosarito sind die Fox-Studios. Dort wurden damals viele Szenen von dem Film „Titanic“ gedreht. Nur schade, dass wir das Titanic-Museum nicht besuchen konnten. Ensenada, eine Stadt mit 260 000 Einwohnern und dem größten Weinanbaugebiet von Mexiko. Und hier startet jedes Jahr zweimal die bekannte Wüstenrallye „Baja 1000“. Sie ist ein brutales Rennen über 1000 Meilen (1600 km), nonstop entlang der schmalen Pazifik-Halbinsel Niederkalifornien. Teilweise fahren diese seltsamen Autos auch durch das unwegsame Gelände der Wüste. Regeln gibt es so gut wie keine. Wer zuerst im Ziel ist, hat gewonnen. So einfach ist dieses Rennen. Und auf einmal waren wir mit unserem voll beladenem Jeep mittendrin in dieser Wüstenrallye. Es war der blanke Wahnsinn, wenn wir am Rand der Straße warteten, bis die verrückten Fahrer in ihren Baja-Buggys an uns vorbeisausten. Das sind Autos auf hochbeinigen Gitterrohrrahmen mit einem mächtigen Chevy-V8-Motor im Heck, 650 PS. Im harten Einsatz verbrauchen sie zwischen 50 und 60 Liter auf 100 Kilometer. Tausende Menschen standen am Rande der Wüste und waren vollkommen in Ekstase, als diese Rennfahrer mit großem Krach an ihnen vorbeiflogen und außerdem noch eine riesige Staubwolke hinterließen. Die Buggys hatten das gleiche Ziel wie wir. Cabo San Lucas. Sie würden bestimmt alle schneller ankommen als wir, aber das sollte uns egal sein. Ensenada war die letzte Station auf unserer Fahrt, die entspannt war. Ab hier ging es weiter auf der Mex-1.
Kapitel 7
Es kam die Einsamkeit und die Straße wurde gefährlich. Vorher machten wir unsere erste
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