Mexiko, mein anderes Leben (German Edition)
Erfrischung gab es natürlich nicht in der Wüste. Die Feuchttücher waren zwar sehr wirkungsvoll und am Anfang unserer Reise auch noch sehr erfrischend gewesen. Bald wurden sie aber fade wie ein alter, oft benutzter Waschlappen. Wir saßen beengt in unserem Jeep, fühlten uns verbraucht, müde und leer. Noch 800 Kilometer lagen vor uns, die Hälfte der Strecke hinter uns. Diese Abenteuerstraße schlängelte sich wie eine Achterbahn unberechenbar und aufregend durch die Berge. Nur Schilder mit der Aufschrift „Curva Peligrosa“, warnten vor einer gefährlichen Kurve.
Zu unserem Glück erwachte bald ein neuer Tag und die Morgendämmerung setzte ein. Hier, viel näher am Äquator, ist sie in keinster Weise mit dem Sonnenaufgang in Deutschland zu vergleichen. Am Horizont erhellt sich der Himmel und verdrängt das Leuchten der Sterne. Wie bei einem Dimmer-Schalter, mit dem man die Helligkeit einer Lampe regulieren kann, taucht die Sonne dann auf und erhellt den neuen Tag. Das fasziniert mich immer wieder, weil es so schnell geht. Mit der aufgehenden Sonne kamen uns schon mehr Fahrzeuge entgegen. Keine Autos wie unseres, sondern riesige, schwere Trucks. Trucks mit Lebensmitteln, Benzin und allem, womit die Menschen in Niederkalifornien versorgt werden mussten. Es war immer eine Gratwanderung, wenn wir so einem Riesen-Monster-Lkw begegneten, und jedes Mal hatten wir Glück, dass dies nicht in einer Haarnadelkurve geschah, sondern auf gerader Strecke. So langsam hatten wir uns an diese extreme Situation gewöhnt, denn es blieb ja keine andere Wahl. Ich dämmerte gerade wieder in diesem Sekundenschlaf zwischen Traum und Wirklichkeit als letztere mich rasend schnell einholte. Vor uns leuchteten zwei Lichter von einem Truck und neben uns suchte eine Kuh ihr Futter am Rande der Straße. Und das Ganze vor so einer gefährlichen Kurve. Der Truck und die Kuh kamen rasend schnell näher und Robert musste sich in Sekunden entscheiden: Weiche ich nach links oder nach rechts aus? Rechts ein steiler Berg, links der tiefe Abgrund und dazwischen die Kuh, die keine Ahnung hatte, was da passierte. Er entschied sich für den Abgrund und die Kuh. Wäre Robert nur ein paar Millimeter weiter nach links ausgewichen, dann würden wir jetzt dort unten liegen. Tief im Abgrund und für niemanden mehr erreichbar. Einfach weg und verschollen. Kein Kreuz mit Kunstblumen würde dann an uns erinnern. Es war ein Albtraum, doch unser Schutzengel hatte verhindert, dass er wahr wurde.
Nach diesem Ereignis saß der Schock noch lange tief in uns, doch trotzdem ging die Fahrt weiter. Der gefährlichste Abschnitt dieser Straße lag jetzt hinter uns. Nun fuhren wir diagonal durch den hohen Gebirgszug Sierra San Pedro Martir von der Pazifikküste auf die andere Seite der Halbinsel, an die Küste des Sea of Cortez, des Golfs von Kalifornien. Jetzt konnten wir uns wieder entspannen und den kommenden Morgen begrüßen. Raus aus der Dunkelheit und weg von den Gefahren, die wir schadlos überstanden hatten.
Kapitel 8
Wir waren nun schon vierundzwanzig Stunden abgeschnitten von der modernen Welt und lebten nur in dem Moment, der gerade gegenwärtig war. Außer einer Dusche und einem Bett vermisste ich das Telefon. Seitdem wir von Berlin losgeflogen waren, hatte ich es immer irgendwie geschafft, jeden Tag meine Eltern in der Heimat anzurufen. Ich wusste, dass sie uns in ihren Gedanken begleiteten und an allem Anteil nahmen, was wir erlebten. Aber hier draußen in der Einsamkeit war der Kontakt abgebrochen und mir wurde bewusst, wie sehr wir Menschen doch schon abhängig sind von der Technik, die uns das Leben einfacher und die Welt kleiner werden lässt. Kein Telefon, kein Handy, keinen Computer und nicht mal ein Radio, denn das Autoradio fand keinen Sender, der uns das Gefühl hätte geben können, mit der Außenwelt verbunden zu sein. Nur unser CD-Player verließ uns auf dieser Reise durch die Halbinsel Baja California nicht und die romantischen Lieder von Anne Murray oder Leonard Cohen versetzten uns immer wieder in eine Art Glücksgefühl und erinnerten uns daran, dass wir uns gefunden hatten und nie wieder verlieren würden. Für mich hatten sie eine ganz besondere Bedeutung, denn erst durch Robert hatte ich ihre Musik kennen- und lieben gelernt. Auf all unseren Reisen, ob durch Kanada, die USA oder Mexiko, begleiteten sie uns. Während Leonard Cohen gerade sein „Dance me to the end of love” sang, konnten wir schon
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