Mexiko, mein anderes Leben (German Edition)
wir dann jeden Strommast, wir verteilten sie in allen Geschäften und drückten allen Passanten so einen Zettel in die Hand. Selbst unsere Radiostation suchten wir auf und drückten dem Moderator zweihundert Dollar in die Hand, damit er jede halbe Stunde eine Durchsage über unseren vermissten Schäferhund machte. Auch nichts.
Die Suchaktion lief nun schon fünf Stunden und ich konnte es mir nicht erklären, dass am helllichten Tag niemand unseren Hund gesehen hatte. Robert und ich waren vollkommen aufgelöst. Wir hatten unsere Körper nicht mehr unter Kontrolle, zitterten und weinten, riefen immer wieder Picassos Namen, doch alles war umsonst. Meine Hände waren immer noch von dem Käse verklebt, meine Haare hingen ungepflegt an mir runter und ich fühlte mich, als sei ich in diesen Stunden um Jahre gealtert. Doch dann, endlich ein Lichtblick und wir konnten unser Glück nicht fassen. Picasso war vor ungefähr einer Stunde auf dem Parkplatz vom Home Depot, einem Baumarkt, gesehen worden. Jetzt konnte alles nur gut werden und bald würden wir unseren Hund wieder bei uns haben. Ich wischte meine klebrigen Käsehände an meinem Kleid ab und Robert legte Picassos Kuscheldecke in den Kofferraum. In wilder Fahrt ging es dann auf dem sechsspurigen Highway zum Home Depot. Während ich immer wieder ein neues Stück Käse aus der Tüte griff, dachte ich mit Schrecken daran, wie Picasso über diese viel befahrene Stadtautobahn gekommen war, um auf die andere Seite zu gelangen. Aber er muss es ja geschafft haben und wir würden ihn jetzt da abholen können.
Auf dem Parkplatz erzählte uns dann ein Aufseher, dass er Picasso vor einer Stunde gesehen habe, wie er da so lang gebummelt sei und ein anderer Mexikaner meinte, er hätte einen Schäferhund gesehen, der unter einem Baum schlief. Sicherlich war er müde geworden und wollte sich ausruhen. Unser Auto stellten wir ab und der Mexikaner führte uns zu diesem Baum. Ich weiß nicht, woher ich die Hoffnung nahm, dass es wirklich unser Picasso war und dass er wirklich nur schlief. Die eine Hoffnung war begründet. Es war Picasso. Aber er schlief nicht, er war tot. Während ich anfing hysterisch zu schreien, nahm Robert Picassos leblosen Körper auf die Arme. Er war leichenblass. Ich weiß nicht, woher er in diesem furchtbaren Augenblick die Kraft nahm, diesen schweren Körper so leichtfüßig zu tragen. Ich schrie immer noch undefinierbare Laute aus mir raus und klammerte mich in meiner Verzweiflung an den Mexikaner, der stumm wie zur Säule erstarrt das Drama miterlebte.
Robert legte Picasso behutsam, als wäre er nur verletzt, in den Kofferraum auf seine Kuscheldecke. Ich drückte dem Mexikaner in meiner Hilflosigkeit noch hundert Dollar in die Hand, das sollte der Finderlohn für unseren toten Hund sein. Ganz langsam fuhren wir mit unserem toten Freund nach Hause. Während dieser Fahrt riefen wir immer und immer wieder: „Nein! Nein! Nein!“ Nicht unser Picasso, das durfte nicht wahr sein! Nein, er war nicht tot, das war einfach unmöglich. Wir konnten es nicht begreifen und wehrten uns dagegen, obwohl unser Verstand es bereits begriffen hatte: Unser geliebter Hund war tot.
Als wir zu Hause ankamen, hatte Robert nicht mehr die Kraft ihn allein aus dem Kofferraum zu tragen. Wir beide zusammen schafften es dann gerade so, ihn in den Garten zu tragen und dort sanft abzulegen. Als er da vor uns lag, verließ uns die letzte Beherrschung. Wir beugten uns über ihn, streichelten ihn, liebkosten ihn und immer wieder riefen wir „Nein“. Heute Morgen hatte er noch friedlich schlummernd in der Sonne gelegen und jetzt lag da nur noch der tote, leblose Körper vor uns, das war nicht zu begreifen. So, als ob wir ihm nicht wehtun wollten, legten wir ihn behutsam in ein großes Bettlaken. Immer und immer wieder streichelten wir den leblosen Körper und versuchten auf diese Art Abschied zu nehmen. Aber das gelang uns nicht richtig und unsere Handlungen liefen ganz automatisch ab.
Abwechselnd gruben Robert und ich ein tiefes, großes Loch in die harte, trockene Erde unseres Gartens. Unsere Gefühle konnten wir beide nicht mehr steuern und die Verzweiflung war grenzenlos. Einmal noch streichelten wir ihn, bevor die heiße Erde seinen Körper für immer bedeckte. Es war einfach furchtbar. Dieser Tag war der schrecklichste, den wir hier in Mexiko erlebten. Wir hatten unseren treuen Freund verloren. Zur Verzweiflung über
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