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Mich gibt s ubrigens auch fur immer

Mich gibt s ubrigens auch fur immer

Titel: Mich gibt s ubrigens auch fur immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seidel Jana
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    Schade nur, dass ich diese Mutter nicht habe. Meine wurde von einem riesigen Weihnachtsbaum in einem Kaufhaus erschlagen, als ich sechs Jahre alt war. In ihrer Einkaufstasche fand man einen Plüschhund. Ich habe den Hund natürlich sofort erkannt, als man ihn uns zeigte. Es war das Kuscheltier, das ich mir so brennend zu Weihnachten gewünscht hatte. Zwei Dinge wurden mir in diesem Moment schlagartig klar. Erstens: Es gibt keinen Weihnachtsmann – sonst hätte der Hund wohl kaum in der Einkaufstasche meiner Mutter gelegen. Und zweitens: Ich bin Schuld an ihrem Tod, weil sie nie in dem Kaufhaus gewesen wäre, hätte sie nicht meinen Wunsch erfüllen müssen. Mein Vater hat mir den Hund als Erinnerung an meine Mutter gegeben, und ich habe diesen Beweis für mein Vergehen heimlich in Nachbars Garten verbuddelt, damit ich ihn nie wieder ansehen muss. Wenn mich jemand nach ihr fragt und ich wohl oder übel erwähnen muss, dass sie tot ist, deute ich immer eine schwere Krankheit an. Zum einen fällt es mir schwer, über die genauen Umstände zu sprechen, zum anderen möchte ich meine Zuhörer nicht in Verlegenheit bringen. Die entsteht automatisch, wenn man von jemandem erzählt, der auf diese irgendwie absurde Art gestorben ist. Das habe ich ganz schnell gelernt. Bei Erwachsenen, vorzugsweise bei meinen Lehrern, löste die Auskunft immer ein kurzes hysterisches Auflachen aus, das sie sofort mit einer Hand vor dem Mund erstickten. Sie konnten ja nichts dafür. Wenn Schock und Aberwitz sich paaren ist so eine Zwerchfell-Hysterie eine ganz normale Reaktion – mir geht es ganz genauso, wenn ich von Menschen lese, die sich von der Golden Gate Bridge stürzen, unten angekommen erleichtert sind, dass sie doch überlebt haben und dann von einem Weißen Hai gefressen werden. Oder der Typ, über den ich mal in der Zeitung gelesen habe, der an seinem Durchfall so verzweifelt ist, dass er ihn mit einem Betoneinlauf stoppen wollte und dabei über den Jordan ging. Deswegen erspare ich meiner Umwelt lieber die Details. Die Zuhörer können dann ganz automatisch auf routinierte Beileidsbekundungen zurückgreifen.
    Meine besten Freunde wissen natürlich Bescheid, aber es hat sich nie die Gelegenheit ergeben, Hrithik einzuweihen. Als es mit uns angefangen hat, wollte ich ihn nicht gleich mit der »Sache« konfrontieren. Und später wäre es mir komisch vorgekommen, die Geschichte zwischen romantischem Abendessen und Kuscheln auf dem Sofa unvermittelt aus dem Hut zu zaubern.
    Weil er nicht wusste, dass es ein Weihnachtsbaum war, der meine Mutter getötet hat, und dass ich diese Dinger seither nicht mehr ertrage, ist es verständlich, dass er dachte, man könne mir mit einem grünen, nadelnden Ungeheuer eine Freude machen. Schließlich würde so ein Baum bei den meisten wohl die Erinnerung an fröhliche Kindheitstage zwischen Apfel, Nuss und Mandelkern und unbeschwertem Konsumwahn wecken. Als man noch glaubte, keine Kreditkarte müsse für die seligen Gaben glühen, sondern ein weißbärtiger, alter Typ mit roter Kapuze werfe sie von seinem Rentierschlitten aus in die Schornsteine braver Kinder.
    Ich schüttele mich. Durch die Kälte klären sich meine Gedanken leider so weit, dass ich alles, was gerade passiert ist, noch einmal wie in einem Film beobachten kann.
    Hrithik bewies mit den goldenen und weißen Kugeln, die er für den Baum ausgesucht hatte, echten Geschmack. Liebevoll hängte er sie an die Zweige, während ich im
Badezimmer so verzweifelt nach Luft schnappte, als würde ich gerade ohne Training einen Viertausender besteigen. Als ich mehrmals tief geatmet und die Zimmertür geöffnet hatte, lag mir das »Ich muss dir etwas sagen« wirklich schon auf der Zunge. Mein Vorhaben wurde aber jäh unterbunden von seinem »Ich möchte dich etwas fragen«. In dem Moment hatte ich keinerlei Vorahnung. Seine Worte kamen mir bloß wie eine merkwürdige Verdrehung meiner eigenen Gedanken vor. Das war der Moment, in dem alles begann, wie in einem Nebel zu verschwimmen. Ich ließ mich von ihm apathisch auf einen Hocker platzieren. Direkt neben den Baum, an dem echte Kerzen brannten. Es lief auch romantische Musik, weihnachtliche Chorgesänge, als er sich vor mir hinkniete, meine Hand nahm und mir die ganze Zeit unverwandt in die Augen sah, während er sagte: »Tanja, ich habe keine Ahnung,

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