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Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt

Titel: Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayse
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habe ich schließlich ein paar Stofffetzen gefunden, sie in Stücke gerissen und in die Unterhose gelegt. Später, wenn sie voller Blut waren, habe ich sie heimlich ausgewaschen und auf dem Dachboden zum Trocknen aufgehängt.
    Was war das? Blut in der Unterhose? Meine Angst hatte sich zwar ein bisschen gelegt, schließlich lebte ich noch und war nicht, wie erwartet, nach ein paar Stunden gestorben. Aber was in meinem Körper vor sich ging, verstand ich nicht. Nach ein paar Tagen habe ich mich einer Freundin anvertraut. Sie war ein bisschen älter als ich und wirkte schon ziemlich erwachsen. Als sie hörte, was passiert war, fing sie an zu lachen und erklärte mir, dass ich das jetzt jeden Monat bekommen würde und dass ich ab jetzt schwanger werden könne. Mehr sagte sie nicht. Ich war natürlich in keiner Weise aufgeklärt, sieht man mal von den intimen Frauengesprächen bei uns in der Küche oder auf der Terrasse ab. Aber die waren damals für mich völlig unverständlich.
    Immerhin wusste ich, dass Kinderkriegen etwas mit den Männern zu tun hatte. Nur wie das funktionierte, wusste ich nicht. Aber mir war klar, dass ich vor Mustafa auf der Hut sein musste, ihn auf keinen Fall mehr an mich ranlassen durfte. Wer weiß, vielleicht konnte man auch durch Küssen schwanger werden? Ich traute mich nicht, jemanden danach zu fragen.
    Mustafa hatte natürlich gemerkt, dass ich mich verändert hatte. Gegen die Küsserei hatte ich mich am Anfang gewehrt, aber es dann doch zugelassen. Jetzt ließ ich mich nicht einmal mehr in den Arm nehmen. Nur noch Händchen halten war erlaubt. Ich konnte ihm das auch nicht erklären, er hätte es sowieso nicht verstanden. Männer und Frauen sprachen nicht über solche Dinge, und Kinder schon gar nicht. Der Urlaub hat ihm, glaube ich, nicht besonders gut gefallen. Nach zwei Wochen sind er und seine Eltern wieder abgereist. Ich war ein bisschen traurig, denn wenn er weg war, mochte ich ihn sowieso viel lieber.
    Irgendwann merkte anne doch, dass ich meine Periode bekommen hatte. Sie machte nicht viel Aufhebens, gab mir eine Art Gürtel und zeigte mir, wie die Stoffbinden festzumachen waren. Sonst sagte sie nichts. Aber sie war besorgt, das spürte ich. Was ich nicht wusste, war, dass jetzt einer Heirat mit Mustafa nichts mehr im Weg stand. Denn verheiratet werden können Mädchen auch in der Türkei erst dann, wenn sie ihre Tage bekommen haben. In den letzten zwei Jahren hatte die Schwägerin immer wieder gefragt, wie es aussah, ob es denn schon so weit sei. Und jedes Mal konnte Mutter wahrheitsgemäß antworten: »Nein, noch nicht.« Was Songül damals umtrieb, war ihr klar. Sie wollte Mustafa und mich so schnell wie möglich zusammenbringen. Denn ihr Sohn wurde älter und immer ungeduldiger. Wie lange würde sie ihn noch zügeln können? Meine anne wusste jetzt, bei der nächsten Anfrage würde sie mit »ja« antworten müssen.
    Von all den Überlegungen der Erwachsenen hatte ich nichts mitbekommen. Dadurch, dass man uns Kindern nie etwas sagte, sondern uns vor vollendete Tatsachen stellte, überrollten mich die Ereignisse. Im Sommer 1978 trafen Tante, Onkel und Mustafa bei uns im Dorf ein. Im ersten Moment dachte ich: ›Ah, schau, jetzt machen sie schon wieder Urlaub.‹ Und noch während ich überlegte, wie lange sie diesmal wohl bleiben würden, sagte meine Mutter zu mir, dass es jetzt wohl bald so weit sei. Aber zu dem Zeitpunkt gab es ja noch das Problem mit den Papieren.
    Ich war nämlich zu jung. Offiziell dürfen Mädchen in der Türkei (damals wie heute) erst ab siebzehn bzw. achtzehn Jahren heiraten. Einzige Ausnahme: Sind die Eltern einverstanden, ist eine Eheschließung schon mit sechzehn möglich. Aber was tun, wenn die Braut erst vierzehn ist? In diesem Fall gab und gibt es die Möglichkeit der Imam-Ehe , also der religiösen Eheschließung. Das minderjährige Mädchen und der – oft ältere – Mann werden zunächst nur religiös getraut. Sie geben sich vor dem Hoca und der Familie das Ja-Wort und sind damit – vor Allah – Mann und Frau. Später, wenn die Braut das vorgeschriebeneAlter erreicht hat, heiratet das Paar noch einmal auf dem Standesamt. Eine Möglichkeit, die bei uns vor allem auf dem Land genutzt wurde und wird.
    Aber das hätte bei mir nicht geklappt. Da ich nach Deutschland verheiratet werden sollte, kam eine Imam-Ehe nicht in Frage. Ich brauchte einen gültigen Pass, um heiraten und ausreisen zu können. Da war guter Rat teuer. Mein Geburtstag war

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