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Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt

Titel: Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayse
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Also musste ich immer wieder aufstehen, um dann wieder in die Hocke zu gehen. Bald schon konnte ich meine Beine nicht mehr spüren.
    So ging das bis Sonnenaufgang. Wir brachen die reifen Blätter ab und legten sie neben die Pflanzen, Reihe um Reihe. Spätestens um fünf, halb sechs musste die Arbeit getan sein. Dann kam mein Vater, gut ausgeschlafen, auf dem Esel angeritten. Zur Begrüßungfluchte er meistens. Denn irgendetwas hatten wir immer falsch gemacht. Danach beluden wir gemeinsam den Esel. Der wurde, je nachdem, wie viel wir in dieser Nacht geschafft hatten, mehr oder weniger schwer beladen. In der Zwischenzeit war ich richtig hungrig, und mein Magen knurrte laut. Aber das interessierte niemanden, zuerst musste die Ernte nach Hause gebracht werden.
    Wir waren also auf dem Weg. Der voll beladene Esel vor uns, Vater mit einer Haselnussrute hinterher, Mutter, Bekir und ich. Müde trotteten wir die Felder entlang. Schließlich bog der Esel in den Weg zu unserem Haus ein, der führte steil abwärts und war ziemlich schmal. Anne rief: »Mehmet, der Weg ist nicht breit genug, da kommt der Esel nicht durch.« Da drehte mein Vater sich schnell nach ihr um, krebsrot im Gesicht schrie er, was ihr einfiele, sich in seine Angelegenheiten einzumischen. Sie habe keine Ahnung und solle gefälligst das Maul halten. Dann holte er aus und schlug auf sie ein. Mit der Gerte traf er sie mitten ins Gesicht, an den Armen und auf dem Rücken. Verzweifelt mussten wir zuschauen, wie unser Vater die Mutter verprügelte. Dazwischengehen konnten wir nicht, das hätte ihn nur noch mehr in Rage gebracht. So standen der abi und ich völlig erstarrt daneben und hofften, dass er bald aufhören würde. Irgendwann war er dann erschöpft und hielt inne. Annes Gesicht war blutüberströmt. Gebeugt stand sie da, stumm liefen ihr die Tränen über die Wangen. Als sie sich mit ihrem Kopftuch das Blut wegwischen wollte, fing er sofort wieder an zu toben. Sie solle das gefälligst lassen und endlich den Tabak nach Hause schaffen.
    Aber der Esel bewegte sich nicht, seine Ladung war tatsächlich zu breit, er konnte nicht weitergehen. Da hieb Vater mit dem Stock auf das arme Tier ein und brachte ihn schließlich dazu, sich umzudrehen. Kommentarlos nahm mein Vater die breitere Straße. Der Esel passte mit seiner Fracht gut durch, genau wie anne es gesagt hatte. Zu Hause angekommen, mussten wir zunächst die Blätter abladen. Wir Frauen würden sie nach dem Frühstück auf Schnüre zum Trocknen aufziehen.
    An diesem Tag hat mein Vater nicht mit uns gegessen, er verließ noch vor dem Abladen das Haus und kam erst spät am Abend wieder. Taten ihm solche Aussetzer Leid? Oder hat er sich geschämt? Ich glaube weder das eine noch das andere war der Fall. Für ihn war das ganz normal. Er war der Herr im Haus, sie war »nur« seine Frau und hatte sowieso nichts zu sagen. So war das immer schon gewesen, und so sollte es auch bleiben. Mein Vater war übrigens keine Ausnahme bei uns im Dorf. Es gab viele Männer, die ihre Frauen regelmäßig schlugen. Aber gäbe es einen Wettbewerb, wer seine Frau am schlechtesten behandelte, so würde mein Vater mit Sicherheit den ersten Preis gewinnen. Er machte auch nie einen Geheimnis daraus. Immer wenn er wütend war, und das war er oft, ging er – egal ob Sommer oder Winter – auf die Terrasse hinaus und fing an zu schreien, so dass man ihn im ganzen Dorf hören konnte.
    Aber meine anne hat sich nie beschwert. Ich glaube, in all den Jahren, die sie mit meinem Vater verheiratet war, und das war fast ein halbes Jahrhundert, ist sie nur ein einziges Mal davongelaufen. Damals waren wir noch klein. Er hatte sie wieder mal – grün und blau – geschlagen, da ist sie gegangen. Nein, er hat sie nicht gesucht. Er wusste ja, dass sie wiederkommt. Schließlich waren wir Kinder im Haus geblieben, und er war sich sicher, dass sie uns nie verlassen würde. Ja, er kannte seine Frau sehr genau. Am nächsten Morgen kam sie wieder, und alles war wie vorher.
    Ihr einziger Trost waren neben uns Kindern die Freundinnen. Nach solchen Vorfällen kamen sie und haben anne getröstet. Die Frauen in der Türkei haben sowieso sehr enge Beziehungen untereinander. Anders als hier in Deutschland, besuchen sie sich täglich, und falls keine Zeit zum Teetrinken und Schwatzen ist, helfen sie einander bei der Arbeit. Und die Frauen sind sehr offen miteinander. Sie reden viel freier über Liebe und Sex, als ich das zum Beispiel von deutschen Frauen weiß. Bei

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