Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt
offiziell der 15. Januar 1964. Im Sommer 1978 war ich also erst vierzehneinhalb Jahre alt, und selbst mit dem Einverständnis der Eltern noch zu jung zum Heiraten. Tante Songül aber wollte nicht mehr warten. Sie brauchte die Schwiegertochter jetzt. Um die geplante Hochzeit durchziehen zu können, musste ich also um ein paar Jahre älter gemacht werden. Obwohl man Ländern wie der Türkei nachsagt, dass mit ein bisschen Bakschisch alles geht, brauchten sie einen Plan. Der war schnell gefunden, man musste das Geburtsdatum leicht korrigieren. Aber Geld allein würde nicht genügen, um einen falschen Pass in unserer Bezirkshauptstadt zu beantragen. Dort war ich registriert, und bei den Passformalitäten würde man unweigerlich auf mein richtiges Geburtsdatum stoßen. Die Behörden mussten also getäuscht werden.
Vater, Onkel und Tante haben sich also eine Geschichte ausgedacht, die ging in etwa so: In meiner Familie hätte es Streit gegeben und einer meiner Onkel sei umgebracht worden. Aus Angst vor noch mehr Blutrache sei die Familie nach dem Mord aus unserem Heimatdorf weggezogen und hätte sich jetzt in einem anderen Ort, einem anderen Bezirk niedergelassen. So oder so ähnlich wurden Vater und Onkel bei dem Amt des benachbarten Bezirks vorstellig. Zufälligerweise bräuchte nun die Tochter bzw. Nichte, so die Geschichte weiter, einen neuen Pass. Deshalb sei man hier. Man wolle neue Papiere beantragen, und das seien die Daten. Ich habe keine Ahnung, ob und wie viel Geld geflossen ist, um dem Beamten diese Geschichte zu verkaufen.
Nachdem der Antrag mit den falschen Daten gestellt worden war, mussten wir jeden Tag in die Hauptstadt des Nachbarbezirksfahren. Aber der Weg dorthin war lang und beschwerlich. Schon morgens um halb sieben fuhren wir mit einem alten, klapprigen Bus in Ballidere los. Da es keine direkte Verbindung gab, mussten wir einmal umsteigen. So erreichten wir nach anderthalb Stunden Fahrtzeit unser Ziel. Es war jeden Tag das Gleiche. Wir kamen im Amt an, und Vater oder Onkel erkundigten sich nach meinem Pass. Und jeden Tag wurden wir vertröstet. Weder Vater noch der Onkel konnten in Erfahrung bringen, wie lang es noch dauern würde. Die Tante wurde ziemlich ungeduldig und fing an zu zetern. Wahrscheinlich hatte man etwas falsch gemacht, und es würde doch nicht klappen.
Ich war zuversichtlicher, aber gesagt habe ich nichts. Nachdem sich bei mir der erste Schock gelegt hatte, wurde ich immer aufgeregter. Bald würde sich mein Leben ändern. Und die Freude vermischte sich mit der Angst. Oft wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Mit Mustafa war es komisch. Er wurde immer fordernder, wollte mich ständig küssen und anfassen. Aber ich sagte ihm, dass er noch warten müsse bis zur Hochzeit, vorher würde nichts gehen. Wir waren auch nicht so oft zusammen, denn in die Stadt ist er selten mitgefahren. Ich glaube, er hat die meiste Zeit bei irgendwelchen Cousins verbracht.
Wir anderen unternahmen also zwei Wochen lang jeden Tag die gleiche Reise und waren schon ziemlich zermürbt. An einem Morgen jedoch kam mein Vater triumphierend die Treppe des Amtsgebäudes herunter. Er strahlte über das ganze Gesicht und sagte: »Es hat geklappt. Du musst nur noch unterschreiben.«
Zusammen sind wir dann zu dem zuständigen Beamten gegangen, ich malte meine Unterschrift, das hatte ich inzwischen gelernt, und nahm meinen Pass entgegen. Jetzt war es amtlich: Laut Geburtsdatum war ich am 15.1.1962 geboren worden und jetzt sechzehn Jahre alt. So war ich innerhalb von ein paar Wochen um zwei Jahre gealtert. Einer Hochzeit stand nun nichts mehr im Weg.
Die Hochzeit ist der Höhepunkt im Leben eines jeden türkischen Mädchens. Egal ob die Leute reich oder arm sind, es gibt immerein großes Fest. Ein Fest, das sich über insgesamt drei Tage hinzieht, bei dem das ganze Dorf mitfeiert. Sogar Verwandte aus Deutschland hatten sich angesagt. Während wir in Ballidere noch mit der Beschaffung meiner Papiere und den ersten Vorbereitungen für den schönsten Tag meines Lebens beschäftigt waren, machten sich der Cousin meines Vaters mit seiner Frau und seinem erwachsenen Sohn auf den Weg. Sie sollten ein paar Tage vor dem großen Fest eintreffen. Es war immer eine große Aufregung, wenn sich jemand aus Deutschland angekündigt hatte. Diesmal war die Freude doppelt groß, weil es neben dem Wiedersehen auch meine Hochzeit zu feiern gab. Da wir ungefähr wussten, wann sie in Dortmund losgefahren waren, hatten wir
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