Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt
Mädchen geworden.
Da hatte ich fast ein schlechtes Gewissen, dass meine Schwangerschaft weiterhin so unproblematisch verlief. Ich wurde immer runder und freute mich auf das Baby. Mitte August war es dannso weit. Ich hatte schon geschlafen. Als ich mitten in der Nacht aufwachte, merkte ich, dass ich in einem See aus Blut lag. Die ganze Matratze war durchtränkt. Ich weckte Mustafa und bat ihn, mich ins Krankenhaus zu bringen, weil es wohl so weit sei. Aber davon wollte er nichts wissen, er drehte sich wieder um und brummte: »Lass mich schlafen, ich muss morgen früh aufstehen.«
Das konnte doch nicht wahr sein. Ich wand mich unter den Wehen, und mein Mann fühlte sich in seinem heiligen Nachtschlaf gestört. Das brachte mich so in Rage, dass ich ihn das erste Mal, seit wir verheiratet waren, anschrie: »Was ist dir wichtiger, ich und das Kind oder dein Schlaf?«
Er war ziemlich erstaunt, einen solchen Tonfall war er von mir nicht gewöhnt. Aber als er das viele Blut sah, kam er in Bewegung. Er zog sich schnell an und lief zu den Schwiegereltern. Mutter betrat die Wohnung, warf einen kurzen Blick auf mich und brach sofort zur nächsten Telefonzelle auf. Sie verständigte einen Krankenwagen, der kurz darauf eintraf. Die Sanitäter untersuchten mich erst einmal, aber alles schien in Ordnung zu sein. Nur woher das viele Blut kam, erklärten sie mir nicht. Ich hatte Angst und fing wieder an zu weinen. Mutter fuhr mich an, ich solle jetzt endlich still sein, ich wäre schließlich nicht die erste Frau, die ein Kind bekäme. Also war ich still, obwohl ich starke Schmerzen hatte und nicht wusste, was jetzt mit mir passiert.
Die Sanitäter brachten mich ins Krankenhaus. Mutter und Mustafa sind zwar noch mitgekommen, aber bei mir geblieben sind sie nicht. Sie ließen mich einfach allein. Und dann lag ich da, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, und wartete darauf, dass mein Kind kam. Ich hatte keine Ahnung, was als Nächstes passieren würde. Ich wusste zwar inzwischen, wie Kinder gemacht werden, aber wie sie aus einem rauskommen, wusste ich nicht. Die Geburt zog sich den ganzen nächsten Tag hin. Immer wieder hatte ich Wehen, die kamen und gingen. Und weit und breit war kein Mensch, der mir irgendetwas erklärte. Ich lag im Bett und betete leise: »Bismillahi, Rahmani, Rahim... , im Namen Gottes, des Barmherzigen, erbarme dich und steh mir bei. « Das größte Problem war, dass ich das Krankenhauspersonal nicht verstand. Hier war niemand, der Türkisch sprach, und ich konnte kein Wort Deutsch. Von meinen Verwandten ließ sich niemand blicken. Sie dachten wahrscheinlich: ›Die wird ihr Kind schon kriegen, dazu braucht sie uns nicht.‹ Dabei hätte ich den Beistand so nötig gehabt. Allein die stündlichen Untersuchungen. Immer wieder kam die Hebamme zum Nachschauen, und ein paar Krankenschwestern standen auch dabei und guckten zu. Oh, war mir das peinlich. Wie habe ich mich geschämt. Aber irgendwann am Abend ging es dann sehr schnell. Die Presswehen brachen über mich herein, und die Hebamme zeigte mir mit Gesten, was zu tun war. Also habe ich gepresst, weil sie auch presste. Um Mitternacht war es dann so weit. Mein Baby, ein gesunder, kleiner Junge – 3700 Gramm schwer, 52 Zentimeter groß – war geboren. Er hatte sogar schon einen blonden Flaum auf dem Kopf. Can sollte er heißen. Das bedeutet Leben auf Türkisch.
Am 19. August also war mein Sohn zur Welt gekommen. Ich war außer mir vor Freunde. Die Schmerzen hatte ich längst vergessen. Stolz saß ich im Bett mit meinem Baby im Arm und wartete auf Besuch. Ich weiß nicht, ob man sie verständigt hatte oder ob sie sowieso gekommen wären. Am Tag nach Cans Geburt tauchten sie plötzlich auf. Als Erstes kam die Schwiegermutter. Sie war mild gestimmt und schien sich über das Baby zu freuen. Als sie es in den Arm nahm, gab es mir einen Stich, ich wusste, dass sie jetzt an ihr totes Baby dachte. Aber den Gedanken verdrängte ich ganz schnell wieder, weil das nicht zu ändern war. Mutter hatte mir zur Feier des Tages etwas mitgebracht – ein Stück Torte. Hatte sie vergessen, dass ich keine Torte mochte? Aber ich war viel zu glücklich, um mich zu ärgern, also ließ ich das Stück unberührt auf dem Nachttisch stehen und unterhielt mich mit ihr. Zum ersten Mal seit fast einem Jahr sprach sie wieder normal mit mir. Als Mutter wieder gegangen war, warf ich die Torte weg. AmAbend ist dann auch Mustafa gekommen. Auch er schien sich zu freuen. Obwohl es merkwürdig
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