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Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt

Titel: Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayse
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hatte vor einer Weile die Schicht gewechselt. Jetzt war er mein Schichtführer. Herr Jankovic war wirklich extrem nett. Ein Großteil unserer Arbeit wurde inzwischen maschinell erledigt, und wann immer eine Maschine kaputt war oder es sonst ein Problem gab, kam er sofort und half. Es war mir natürlich schon aufgefallen, dass er mich manchmal so komisch musterte. Ich glaube, er mochte mich. Und ich muss zugeben, dass auch ich ihn sehr nett fand. Aber mehr war da nicht! Und jetzt war er in Urlaub, und ich versorgte seine Blumen und lüftete die Wohnung.
    Es war ein Donnerstag, ich hatte Spätschicht, und zu Hause herrschte – wie immer – schlechte Stimmung. Mustafa hatte mich schon morgens aus dem Bett geprügelt und dann stundenlang herumgebrüllt. Ich hatte Kopfschmerzen und Herzrasen. ›Ich kann das keine Minute länger aushalten‹, dachte ich und fasste einen Plan. Unauffällig packte ich ein paar Kleidungsstücke in meine Einkaufstasche und verließ – wie immer – das Haus gegen 13.30 Uhr. Meine Schicht begann um vierzehn Uhr, und zu Fuß brauchte ich etwa fünfzehn Minuten zur Firma. Aber heute ging ich nicht zur Arbeit. Von einer Telefonzelle rief ich an, um Bescheidzu sagen, dass ich wieder Migräne hätte und nicht kommen würde. Ich legte auf und lief zur Wohnung meines Kollegen. Dort angekommen, setzte ich mich erst einmal in die Küche und rauchte eine Zigarette. Ich rauchte eigentlich gar nicht, aber in letzter Zeit hatte ich mir häufiger eine angesteckt, und ich merkte, dass es mich irgendwie beruhigte. Schnell zog ich die Vorhänge zu, so dass mich nur ja niemand sah. Noch nie hatte ich eigenmächtig gehandelt, noch nie hinter Mustafas Rücken einen Plan gefasst. Aber jetzt hatte ich es getan. Ich war nicht zur Arbeit gegangen, und ich würde heute Abend nicht nach Hause kommen. Was würde passieren? Ich wusste es nicht und konnte jetzt nicht darüber nachdenken. Das war mir alles zu viel.
    Um mich abzulenken, fing ich an, die Wohnung zu putzen. Das war nötig, denn mein Kollege lebte allein, und es war ziemlich schmutzig. Den ganzen Nachmittag habe ich dann geputzt und geweint. Immer wieder kamen mir die Tränen, die Kinder fielen mir ein und was jetzt werden würde. Ich wusste es nicht. Dann konzentrierte ich mich wieder aufs Putzen. Inzwischen waren Bad, Küche und Wohnzimmer schon blitzblank. Vor dem Schlafzimmer zögerte ich. Konnte ich da einfach hineingehen und sauber machen? Es kam mir eigenartig vor, das Schlafzimmer eines fremden Menschen zu betreten. Aber dann dachte ich, >was soll’s<, und habe mich an die Arbeit gemacht.
    Am Abend war ich fix und fertig. Mein Kopf tat weh, und ich hatte Magenschmerzen. Vermutlich weil ich den ganzen Tag nichts gegessen hatte. Zwischendrin hatte ich immer wieder mit dem Gedanken gespielt, Herrn Jankovic anzurufen. Ich wollte mit jemandem reden, und ich wusste, dass er gut zuhören konnte. >Und wenn da mehr war?<, schoss es mir durch den Kopf. >Wenn er sich in mich verliebt hatte?< >Und was war mit mir? Liebte ich ihn etwa auch? Quatsch! Ich war schließlich verheiratet und hatte vier Kinder. Wie hätte ich da mit einem Kollegen? Nein!< Aber irgendwie ging mir Herr Jankovic nicht mehr aus dem Kopf.
    Ich musste mit jemandem reden. Aber wo war die Nummer?
    Er musste sie doch irgendwo notiert haben. Trotz intensiver Suche fand ich sie nicht. Dann habe ich ein paar Nummern aus dem Telefonverzeichnis ausprobiert. Aber am anderen Ende sprach man nur Kroatisch, und das verstand ich nicht. Ich rief seinen Namen in den Hörer, aber außer Kroatisch kam nichts zurück. Das war ein Pech! Vor lauter Verzweiflung habe ich meinen Bruder angerufen. Ich erzählte ihm, dass ich von zu Hause weggelaufen sei und nicht weiter wisse. Mein abi hörte zu und sagte dann knapp: »Ich komme.« Sieben Stunden später war er da. Er musste mit Tempo zweihundert über die Autobahn gebraust sein, denn von Norddeutschland brauchte man normalerweise acht, neun Stunden bis München. Jedenfalls klingelte es um zwei Uhr morgens an der Tür. Und da standen sie, mein Bruder und seine Frau. Erleichtert, dass ich nicht mehr allein war, bat ich sie herein. Ich kochte Kaffee und erzählte ausführlich. Aufmerksam hörten die zwei zu. An der einen oder anderen Stelle unterbrachen sie mich, fragten nach. Als ich fertig war, inzwischen war es vier Uhr morgens, sagte mein abi : »Komm, jetzt gehen wir zu Mustafa und reden mit ihm.«
    Es war noch dunkel, als wir vor unserer Wohnungstür standen

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