Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt
lieber vor dem Computer. Aber insgesamt konnte ich mich nicht beschweren. Ich hatte immer noch meine Stelle bei der gleichen Firma, für die ich seit vielen Jahren arbeitete, und mir dort sogar eine Sonderstellung erarbeitet. Wann immer es brannte, sprang ich ein. Ich konnte alle Maschinen bedienen, wurde sogar bei der Produktkontrolle eingesetzt, und mein Chef wusste, dass auf mich absoluter Verlass war. Manchmal dachte ich an früher und was für eine Schinderei mein Leben gewesen war. Immer hatte ich jemanden im Kreuz, der mich antrieb. Entweder Mutter oder Mustafa, einer wollte immer etwas. Was für ein schönes Leben ich doch im Vergleich dazu nun führte. Ich konnte kommen und gehen, wann ich wollte. Ob ich die Wohnung putzte oder nicht, störte niemanden. Und wenn ich das ganze Wochenende auf meiner Couch saß und gar nicht arbeitete, war es auch egal. Jetzt war ich frei wie ein Vogel – endlich.
Die liebe Verwandtschaft
Es war Herbst, die Kinder hatten Ferien, und wir waren auf dem Weg zu meiner Familie nach Norddeutschland. Das war der erste Besuch seit vielen Jahren. Nach der jahrelangen Funkstille hatte ich mir vorgenommen, das Schweigen zu beenden. Mit meiner Mutter hatte ich auch wieder Kontakt. Ich hatte sie beim letzten Kurban Bayramı , unserem großen Fest, angerufen und ihr alles Gute gewünscht. Sie hatte im ersten Moment gar nicht sprechen können, weil sie vor lauter Glück weinen musste. Vater hatte ihr verboten, mit mir Kontakt aufzunehmen. Auch ich war glücklich, endlich wieder mit meiner anne sprechen zu können. Jetzt wollte ich auch wissen, wie es meinen Geschwistern geht. Ich hatte sie lange nicht gesehen und nichts von ihnen gehört.
Als ich meine Schwester anrief und fragte, ob ich sie besuchen solle, war sie zu mir wie früher. Mit keinem Wort erwähnte sie unser Zerwürfnis. Sie fragte auch nicht, ob dieser Mann mitkommen würde. Sicher hatte sie – über die gleichen Kanäle wie damals – erfahren, dass Zoran nicht mehr bei mir lebte. Aber gefragt hat sie mich nicht. Ich sprach auch nicht darüber. Was hätte das auch für einen Sinn gehabt? Vorbei ist vorbei. Ich bin nicht nachtragend. Obwohl sie mir viele schreckliche Worte gesagt hatte, damals am Telefon, hatte ich ihr verziehen. Sie war schließlich meine Schwester. So besuchten wir sie also, meine beiden Jüngsten und ich.
Wir fuhren mit dem Zug. Die ganze Fahrt über hatte ich mich gefreut, sie alle wieder zu sehen, die Nichten und Neffen und natürlich meine Geschwister. Zu lange hatte sich die Familie nicht gesehen – und die Familie ist doch für uns Türken das Allerwichtigste.Vor allem aber freute ich mich auf meine Nichte Gonca. Sie ist jetzt neunzehn Jahre alt, und wir stehen uns sehr nah. Abgesehen von meiner Tochter, ist sie die Einzige in meiner Familie, die mich versteht.
Nach zehn Stunden Fahrt waren wir endlich angekommen. Hier, in einer Kleinstadt im Norden Deutschlands, lebten sie alle, meine Geschwister, meine Onkel und Tanten und natürlich viele Nichten und Neffen. Verwandte, was sage ich? Unser halbes Dorf lebte hier. Mein Schwager und sein ältester Sohn waren gekommen, um uns abzuholen.
Meine Schwester Hanife schien erfreut und lächelte, als sie uns sah. An ihrem Rock hingen ihre beiden Jüngsten, zwei und vier Jahre alt. Zaghaft nahm sie mich in den Arm, dann küsste sie Ali und Birgül. Hanife ist eine ruhige Person, nicht überschwänglich, eher zurückhaltend. Vor zwanzig Jahren hatte sie den Bruder meiner Schwägerin geheiratet und war zu ihm nach Deutschland gekommen. Sie sieht meiner Mutter sehr ähnlich. Und wie anne kleidet sie sich traditionell: langer Pulli, langer geblümter Rock, darunter eine Pumphose. Auf dem Kopf trägt sie ein buntes Kopftuch, das sie im Nacken knotet. Hanife führte ein angenehmes Leben. Insgesamt hatte sie nur zwei Jahre in einer deutschen Fabrik gearbeitet. Nach dem zweiten Kind hat sie ihre Stelle gekündigt und danach alle zwei Jahre ein weiteres Kind bekommen. Heute hat sie acht Kinder, sieben Jungen und ein Mädchen. Das Geld verdienen mein Schwager und die beiden ältesten Kinder.
Wir waren noch nicht richtig angekommen, da fing Hanife schon an uns zu bewirten: lahmacun, türkische Pizza, salata, Salat, tavuklu pilav, Hähnchen mit Reis. Meine beiden Kinder fühlten sich gleich wie zu Hause. All die vertrauten Gesichter, Onkel und Tante und die vielen Cousins wieder zu sehen, tat ihnen sichtlich gut. Auch für mich war es schön, endlich wieder im Kreise
Weitere Kostenlose Bücher