Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt
uns einziehen würde. Es war doch unsinnig, zwei Mieten zu bezahlen, da er sowieso die meiste Zeit bei uns verbrachte. Wir unternahmen viel miteinander, und die Kinder mochten ihn. Birgül hatte mittlerweile Teile meiner Geschichte gehört und fing an, mich zu verstehen. Zu ihrem Vater ging sie immer mehr auf Abstand. Oft fand sie an den Wochenenden eine Ausrede, weil sie nicht zu ihm wollte, sondern lieber bei mir blieb.
Die Wochenenden waren wir selten zu Hause. Zoran hatte eine Schwester in der Schweiz, die wir manchmal besuchten. Oder wir fuhren nach Österreich. Seit unserem Urlaub hatte ich meine Liebe zu den Bergen entdeckt und genoss die Ausflüge in die Natur. Meistens verließen wir München samstags ganz früh und fuhren ins Allgäu oder nach Tirol. Dort machten wir ausgedehnte Wanderungen, aßen in Berghütten und übernachteten in kleinen Pensionen. Am nächsten Tag erkundeten wir weiter die Gegend und fuhren abends völlig erschöpft, aber glücklich zurück. An »meinen Wochenenden« nahmen wir die Kinder mit, waren sie bei Mustafa, erwarteten wir sie sonntagabends.
Damals fasste ich den Beschluss, mal wieder meine Geschwister zu besuchen. Ich hatte sie lange nicht gesehen und dachte, es wäre eine gute Idee, im Herbst für ein verlängertes Wochenende nach Norddeutschland zu fahren. Zoran und ich waren ohnehin so viel unterwegs, da konnten wir uns auch mal den Norden Deutschlands anschauen. So eine lange Strecke fuhr man ohnehinbesser zu zweit. Wir könnten uns abwechseln. Außerdem hätten die Kinder bald Ferien, so dass wir sie mitnehmen könnten. Zoran war von meiner Idee begeistert, und auch Ali und Birgül freuten sich schon.
Also rief ich meine Schwester an, und nach den allgemeinen Begrüßungsfloskeln fragte ich sie, wann wir sie besuchen könnten. Da war erst einmal Schweigen in der Leitung. Dann plötzlich fragte sie mit schriller Stimme: »Du willst doch nicht etwa mit diesem Mann kommen?« Sicher hatte sie in der Zwischenzeit mit unserer anne telefoniert und die neuesten Gerüchte gehört. Als ich ihr wahrheitsgemäß antwortete, dass ich das tatsächlich vorgehabt hatte, schrie sie in den Hörer: »Wenn dieser Mann dabei ist, mache ich dir die Tür nicht auf«, beschimpfte mich als Nutte und legte auf. Dass mein Vater so reagierte, konnte ich verstehen. Aber meine Schwester? Sie war doch jünger als ich und lebte auch schon zwanzig Jahre in diesem Land. Dennoch war es für sie völlig undenkbar, dass ein Mann und eine Frau ohne Trauschein zusammenlebten.
Plötzlich kam alles wieder hoch. Ich hatte mich in den letzten zwei Jahren aus meinem türkischen Umfeld entfernt. Natürlich war ich immer noch Türkin, aber manches von unseren Einstellungen und Überzeugungen hatte ich in der Zwischenzeit hinterfragt. Ich liebte Zoran, aber heiraten wollte ich nicht, jedenfalls jetzt nicht. Bei uns Türken ist es allerdings völlig unmöglich, dass zwei Unverheiratete unter einem Dach leben. Als ledige oder geschiedene Frau darf ich mit einem fremden Mann nicht einmal sprechen, geschweige denn irgendetwas anderes machen. Seit meiner Scheidung war ich eine Frau, die nur noch alt werden durfte. Das hatte mir auch mal meine Schwägerin bestätigt, als ich sagte, dass ich gerne wieder heiraten würde. Da hat sie mich ganz erstaunt angeguckt und gefragt: »Aber warum denn? Du bist doch schon fast vierzig. Du brauchst doch keinen Mann mehr.« Ja, so denken bei uns die meisten.
Ich liebte Zoran noch immer, aber die Reaktion meiner Schwester und das Schweigen meiner Eltern ließen mich nichtunberührt. Ich fing an zu grübeln. Sollten wir heiraten, sollte ich mich von ihm trennen? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass ich zu meiner Familie so lange keinen Kontakt haben würde, so lange Zoran bei mir war. Sie würde mich einfach ausgrenzen oder, wie Vater, sich von mir lossagen. Doch wir hatten noch ein anderes Problem. Zoran trank gerne. Er ging auch öfter mit Kollegen aus und kam dann ziemlich angetrunken nach Hause. Diese Gelegenheiten häuften sich. Besonders wenn wir Streit hatten, verließ er die Wohnung und kam Stunden später völlig betrunken zurück. Das störte mich. Ich selbst trank so gut wie nie Alkohol und wusste auch nicht, wie das ist, wenn man einen Rausch hat. Es gelang mir nicht, mit Zoran darüber zu sprechen. Er redete nie über sich oder was mit ihm los war. Er konnte gut zuhören, aber was ihn selbst betraf, hat er für sich behalten.
Die Kinder zogen sich zurück. Vor
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