Mich kriegt ihr nicht!: Gebrauchsanweisung zur digitalen Selbstverteidigung (German Edition)
brav postet, dem verspricht das Unternehmen Rabatte. Das Online-Reisebüro Orbitz hat damit begonnen, Kunden mit Mac-Rechnern Suchergebnisse für teurere Hotels zu zeigen als solchen mit einem Windows-Computer. Sie haben festgestellt, dass Apple-Fans bis zu 30 Prozent mehr pro Übernachtung ausgeben. Die US-Versicherung Progressive experimentiert mit einer Police unter dem Motto »Bezahlen Sie, wie Sie fahren«. Dazu verfolgt das Unternehmen mittels eines Sensors im Auto die gefahrenen Kilometer, die durchschnittliche Geschwindigkeit und andere Messgrößen.
Tracking und Data-Mining sind eine Schlacht mit ungleichen Waffen. Die Unternehmen gewinnen damit einen beispiellosen Einblick in das Leben und die Gedanken jedes einzelnen Verbrauchers. Für uns hingegen machen die neuen Technologien den Markt weniger transparent, so dass viele Menschen benachteiligt oder unnötig zur Kasse gebeten werden. Nur die technisch sehr Versierten werden hier gewinnen.
Der dänische Sicherheitsexperte Stephan Engberg meint sogar, wir werden von den großen Unternehmen gründlich zum Narren gehalten: »Google manipuliert unser Weltbild, indem es jedem von uns individuelle Suchergebnisse vorsetzt, die auf unserem bisherigen Verhalten basieren. Aber welcher Mensch ist schon so vollkommen, dass er sein eigenes Verhalten wirklich begreifen und nachvollziehen kann. Weil Google so viele Informationen über uns gesammelt hat, weiß es mehr über uns als wir selbst. Das erlaubt es dem Unternehmen, uns genau das anzubieten, von dem es sicher ist, dass wir es mögen werden. Sie werden denken, eine Liste von Suchergebnissen selbst bestimmt zu haben. Dabei entscheidet Google, was wir zu sehen bekommen und was nicht.« (Engberg 2012, Interview mit den Autoren)
Engberg plädiert für das Recht, Bürger und Verbraucher das Internet für ihre alltäglichen Transaktionen wie Einkäufe oder im Umgang mit Behörden anonym nutzen zu lassen. »Sich zu identifizieren ist etwas, das wir uns für den Kontakt zwischen zwei Menschen vorbehalten sollten. Es ist sehr wohl möglich, viele Online-Dienste anonym zu nutzen, ohne irgendwelche Abstriche beim Kundenerlebnis oder der Funktionsfähigkeit zu machen.« (Engberg 2012) Gerichte in Deutschland sehen das übrigens wie Engberg, wenn sie etwa entschieden haben, dass ein kostenloser WLAN-Hotspot keine Klarnamen beim Einloggen verlangen darf. Wenn Kommunikationssysteme auf der vollen Identifizierung eines Nutzers beharren, so Engberg, dann sind sie unglaubwürdig und dienen dazu, die Verbraucher und Bürger ihrer Eigentums- und Mitspracherechte zu berauben.
Im Visier: Schwangere, Depressive und Erbkranke
Stellen Sie sich vor, Sie könnten die gesamte Bandbreite des Verbraucherverhaltens im Netz mit fast allen Gewohnheiten und Handlungen offline kombinieren. Unternehmen, die sich darauf spezialisiert haben, entwickeln Modelle, um unser zukünftiges Verhalten vorherzusagen. Sie meinen zu wissen, wann jemand am ehesten ein neues Auto oder einen Kinderwagen kaufen wird. Sobald eine Marke weiß, dass Sie ein bestimmtes Produkt mögen, kann sie den Preis entsprechend anpassen. Das Unternehmen kann auch die Informationen aus Ihrem Tagesablauf verwenden, um Ihnen genau dann ein Angebot für Junkfood zuzuschicken, wenn Sie der Hunger plagt. Firmen, die sich auf solche predictive analytics verlegt haben, bringen zuweilen Dinge über Sie und Ihre Familie in Erfahrung, bevor Sie als Betroffener selbst davon wissen.
Charles Duhigg berichtet über ein solches Geschäftsmodell in seinem Buch The Power of Habit (dt.: Die Macht der Gewohnheit). Ein Mann geht in eine Filiale der amerikanischen Supermarktkette Target außerhalb von Minneapolis und verlangt, den Geschäftsführer zu sprechen. Er zeigt ihm wütend Rabattgutscheine, die an seine Tochter adressiert waren. »Meine Tochter bekam die mit der Post. Sie ist noch in der Highschool, und Sie senden ihr Gutscheine für Babykleidung und Babybetten. Wollen Sie das Mädchen etwa dazu verleiten, schwanger zu werden?« (Duhigg 2012) 9
Der erzürnte Vater wusste nicht, dass seine Tochter tatsächlich ein Kind erwartete, aber der Supermarkt tat es. Warum? Weil Target ein Modell zur Schwangerschaftsvorhersage entwickelt hatte. Dazu wertet der Konzern umfassend die Daten seiner Kunden aus. Jedes Mal, wenn sie etwas kaufen, eine Umfrage ausfüllen, etwas umtauschen, den Kundendienst anrufen, eine E-Mail öffnen oder seine Webseite besuchen. Diese personenbezogenen Angaben werden mit
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