Mich kriegt ihr nicht!: Gebrauchsanweisung zur digitalen Selbstverteidigung (German Edition)
Daten verknüpft, die Target bei den oben erwähnten Datenmaklern über jeden Verbraucher kauft: Ethnizität, Zeitschriftenabonnements, wann jemand sein Haus gekauft oder neu finanziert hat, Veränderungen im Familienstand, beruflicher Werdegang, Einträge bei sozialen Medien. Mit diesem Modell gelang es Target, alle Frauen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit schwanger waren, zu identifizieren und ihnen entsprechende Werbung zu schicken.
Duhigg traf mit dem Titel seines Buches den Nagel auf den Kopf. Laut einer Studie der Duke University in North Carolina prägen Gewohnheiten und nicht die bewusste Entscheidungsfindung fast die Hälfte aller Kaufentscheidungen, die wir jeden Tag treffen. 10 Gewohnheiten entstehen immer dann, wenn uns ein großes, das Leben veränderndes Ereignis ins Haus steht. Dazu gehört die Geburt eines Kindes, eine Hochzeit, der Kauf des ersten Eigenheims oder der Studienbeginn. In solchen Momenten, so Verhaltensforscher, sind wir am ehesten bereit, unsere Einkaufsgewohnheiten zu ändern und diese später beizubehalten. Wer seine Kunden also optimal ausbeuten und an sich binden will, muss solche Wendepunkte möglichst identifizieren und entsprechend bewerben. So unheimlich es klingt, dazu gehört auch, die Aufmerksamkeit seiner Kunden zu wecken, bevor sie überhaupt wissen, dass sie neue Gewohnheiten entwickeln oder die alten ändern werden.
Wal-Mart, der größte Einzelhändler der Welt, hat sich diese Infohäppchen gleich en masse eingekauft. Das Unternehmen aus Arkansas erwarb die beliebte Facebook-App Social Calendar, in der Millionen registrierter Nutzer besondere Ereignisse wie Geburtstage, Jubiläen oder Reisen eintragen und mit Freunden teilen. Wer den Dreißigsten seines besten Freundes oder den Sommerurlaub in Mexiko in Social Calendar einträgt, hat wohl kaum bedacht, dass diese sehr persönlichen Ereignisse in den Händen von Wal-Mart landen würden. Nun werden sie dem Datenbestand des Einzelhändlers einverleibt, um ein noch besseres Profil seiner Kunden zu erzeugen.
Da Verhaltenstargeting schon fast zum Standard gehört, experimentieren Firmen bereits mit noch gewagteren Konzepten: Werbung, die sich an der momentanen Gemütsverfassung eines Verbrauchers orientiert. Wer in Stimmung ist oder eine Aufmunterung braucht, wer schwitzt oder friert, kann von der Werbewirtschaft prompt bedient werden. Google zum Beispiel hat ein Patent angemeldet, um Anzeigen basierend auf aktuellen Umweltbedingungen wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Geräuschkulisse oder Lichtverhältnissen zu schalten. Das könnte dazu führen, dass wir Anzeigen für Daunenmäntel sehen, sobald wir mit dem Handy vor die Tür treten, oder eine Getränkewerbung direkt nach dem Sport.
Tracking, das unsere Stimmung oder Laune zu analysieren versucht, zieht noch mehr Manipulationsregister. Verhaltensforscher haben festgestellt, dass Menschen mehr online kaufen, wenn sie betrunken sind oder unter Depressionen leiden. 11 Experten nennen diese Art der Beeinflussung persuasion profiling . Es wird an Bedeutung gewinnen, sobald Facebook personalisierte Werbung in die meisten Aktivitäten seiner einer Milliarde Nutzer einflicht, denn die Wall Street hat wenig Geduld mit Internetfirmen, die keine Umsatzschübe vorweisen. Microsoft, das ein mit Kameras, Mikrofonen und anderen Sensoren ausgestattetes Steuerungsmodul namens Kinect herstellt, hat ein Patent auf eine Werbetechnologie angemeldet, die den emotionalen Zustand seiner Benutzer anhand von Mimik, Sprache, Körperhaltung und Bewegungsmustern erkennen kann.
Eli Pariser, der Autor von The Filter Bubble , macht sich große Sorgen über die neuen Verführungsprogramme: »Man bemerkt kaum, dass man dem Persuasion Profiling unterzogen wird, und ehe man sich’s versieht, wird dieses Profil dazu benutzt, das eigene Verhalten zu beeinflussen. Unternehmen, denen wir die dazu notwendigen Daten preisgeben, unterliegen keinen Gesetzen, diese für sich zu behalten. Einmal in den falschen Händen, gibt Persuasion Profiling einem Unternehmen die Möglichkeit, Ihre rationalen Entscheidungen zu umgehen, Ihre Psyche auszuloten und Sie an Ihren Schwachstellen auszunutzen. Ganz nach dem Motto: Wer sich in eine Person wirklich hineindenken kann, kann auf einmal ihr Handeln beeinflussen.« (Pariser 2012, Interview mit den Autoren) Damit verkäme das Internet zur perversen Fernbedienung für alle großen Unternehmen, die sich eine so aufwendige Datenanalyse leisten können.
Noch ein weiterer
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