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Michael, der Finne

Michael, der Finne

Titel: Michael, der Finne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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wollten ihm mit Hilfe eines Baders das Bein abnehmen; Doktor Paracelsus aber meinte, er könne ihn ohne Operation heilen. Bevor er aber seinen Patienten aufsuche, wolle er sich mit Wein laben, denn er habe einen langen, beschwerlichen Ritt hinter sich. Wir verbrachten den Abend gemeinsam; dann mußte ich ihn auf seine Stube führen. Dort hieb er zunächst mit dem Schwert um sich, um die Geister zu verscheuchen, die ihn heimzusuchen pflegten, wenn er stark getrunken hatte; dann warf er sich in den Kleidern aufs Bett.
    Diese Begegnung ereignete sich im Spätsommer, als meine erste Begeisterung für das Studium verflogen war. Ich hatte es einigermaßen satt, in alten Scharteken zu wühlen, worein die Gelehrten der Universität mehr Vertrauen setzten als auf das Zeugnis ihrer eigenen fünf Sinne. Daher war ich gerne bereit, meine Studien unter Doktor Paracelsus wieder aufzunehmen, obwohl seine krankhafte Einbildung, die mit den Jahren nur noch schlimmer geworden war, und seine Reizbarkeit ihn zu einem sehr schwierigen Lehrer machten.
    Ich muß jedoch gestehen, daß sein Benehmen sich wie durch ein Wunder änderte, sooft er an einem Krankenbett stand. Dann leuchtete sein Gesicht vor Sanftmut und geistiger Kraft, und die bloße Berührung seiner Hand brachte den Leidenden, deren Vertrauen er rasch gewann, Linderung. Er kurierte das Bein des alten Druckers in wenigen Wochen, und sein Ruf in Basel war gefestigt. Kranke drängten sich vor seiner Tür im Gasthof. Der Drucker Frobenius und der große Erasmus sangen um die Wette sein Lob unter ihren vielen einflußreichen Bekannten.
    Erasmus Roterdamus wurde selbst sein Patient; Doktor Paracelsus untersuchte ihn gründlich und kam zu dem Schluß, daß Erasmus an der Weinsteinkrankheit litt. Verschiedene Formen dieses Leidens griffen Leber, Gallenblase und Nieren an und konnten rasende Schmerzen hervorrufen. Der Doktor rühmte sich, der erste zu sein, der diese Krankheiten studierte, behandelte und beim richtigen Namen nannte. Er behandelte Erasmus mit Erfolg, setzte ihn auf leichte Kost und gebot ihm ausdrücklich, nicht zu trinken, ausgenommen roten Burgunder.
    Als des Doktors Gehilfe und Laufbursche hatte ich oft Gelegenheit, den großen Erasmus zu sehen; freilich muß ich gestehen, daß ich über seinen Anblick arg enttäuscht war. Er war ein vertrocknetes Männchen, das selbst im Sommer Pelzwerk trug und in der Stube hockte; mit Besuchern zankte er gern und fuhr sie an, die Tür zu schließen. Den Luftzug fürchtete er wie die Pest; in seiner Nahrung war er wählerisch; unablässig jammerte er über seine zarte Gesundheit, und in der richtigen Auslegung eines griechischen Wortes erblickte er einen größeren Sieg als die von Königen auf dem Schlachtfeld. Im blaugekachelten Ofen in seinem Gemach brannte stets das Feuer; Krankheit und Tod fürchtete er so sehr, daß er selbst seinen guten Gastgeber Frobenius mied, solange der bettlägerig war.
    Seine größte, ja einzige Freude war es, nach unten an die hämmernde Presse zu gehen, den Geruch der Druckerschwärze einzuatmen, die druckfeuchten Bogen zu befühlen und mit seiner nadelscharfen Greisenschrift Verbesserungen anzubringen. Frobenius veröffentlichte eben seine, des Erasmus, Werke in umfangreichen Neuausgaben; Erasmus aber war außerordentlich undankbar und stets mit Beschwerden zur Hand, obwohl der Drucker ihn in seinem eigenen Hause beherbergte und sowohl den Burgunder wie auch die Delikatessen, die seinem vertrockneten Gaumen munden sollten, bezahlte. Dennoch schrieb Erasmus unausgesetzt an seine Gönner in ganz Europa und klagte ihnen seine Armut. Man hätte kaum einen König, Fürsten oder Edelmann gefunden, der nicht immer wieder Bettelbriefe von ihm erhalten hätte. Daher trafen auch unablässig mit Gold prallgefüllte Börsen in seinem Quartier ein. Kein vernünftiger Mensch wollte seinen Unwillen erregen, denn er brachte es fertig, in seinen Dialogen alle Personen und Ansichten, die er mißbilligte, aufs schärfste anzuprangern. In seinen persönlichen Ausgaben hingegen war er ein Geizhals.
    Als Doktor Paracelsus mich zum drittenmal zu ihm gesandt hatte, um sein Honorar einzutreiben, machte mir Erasmus folgenden Vorschlag: »Es wäre ein großer Verlust für die Welt, wenn Eures Herrn unvergleichliche Gelehrsamkeit und seine neue Erkenntnis der Gesetze der Medizin durch sein unstetes Leben vergeudet würden. Eben ist die Stelle eines Stadtphysikus vakant; damit ist die Pflicht verbunden, an der Universität

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