Michael, der Finne
Rom zu ziehen.
Beim Abschied war Doktor Paracelsus so hochherzig, mir acht Pillen einer wundersamen Arznei namens Laudanum zu schenken, die den grimmigsten Schmerz lindern konnte. Er gab mir auch andere Heilmittel und Salben, die rotes Quecksilber zur Behandlung des französischen Ausschlags enthielten. Ober die Pest erteilte er mir viele weise Ratschläge und sprach länger als eine Stunde über die Arten des Fiebers in Italien.
»Auf allen großen Feldzügen sterben viel mehr Menschen an den Pocken, der Pest und dem Fieber als durch Eisen und Blei«, sagte er. »Ihr werdet wohl nie einen guten Arzt abgeben, Michael Pelzfuß, aber viele Feldscher haben schon mit fehlerhafterem und gefährlicherem Wissen, als Ihr es besitzt, ein Vermögen erworben. Seht zu, daß Ihr mit Euren Arzneien nicht mehr Unheil anrichtet, als Ihr Gutes tut, und laßt nach Möglichkeit überall die Heilkraft der Natur ihre Wirkung vollbringen.«
Seine Abschiedsworte bestärkten mich in meinem Entschluß. Ich begleitete ihn ans Ufer des reißenden Rheins und weinte, als er an Bord der Fähre ging. Ich stand und blickte ihm nach, bis er zu einem grauen Fleck in der Ferne verschwamm und mir aus den Augen entschwand.
Doktor Paracelsus kehrte im folgenden Jahr auf Einladung des Rates nach Basel zurück und verbrannte, seinem Versprechen getreu, die Bücher des Galenus im Sonnwendfeuer. Sechs Monate später aber floh er, wie ich später hörte, um sein Leben zu retten.
Seine denkwürdige Gesellschaft und Unterweisung machten auf mich stärkeren Eindruck, als ich damals erkannte, und ich will gerne bekennen, daß er in seinem Fach ein Genie und ein vollkommen ehrbarer Mensch war, obwohl er seine Lehre nie deutlich zu fassen wußte. Er war ohne Zweifel so knorrig und düster wie die Tannen und Felsen seiner Heimat; er nannte sich auch gerne »Peregrinus« und »Wildesel der Berge«. Und doch bewunderte ich ihn mehr als Erasmus mit seinem Ofen, seiner ängstlich beflissenen Gelehrsamkeit und seiner Kriecherei vor den Großen.
2
Hatte ich nach den eisigen Stürmen der Alpenpässe gehofft, i Mailand alles in guter Laune zu finden, so hatte ich mich gründlich getäuscht, denn dort herrschten nur Chaos und Hungersnot. Die Kaiserlichen waren aufgebracht und hörten nicht auf ihre Offiziere, da sie seit Monaten keinen Sold mehr empfangen hatten; nun mußte jeder selbst sehen, wo er blieb. Kaum war die Nachschubkolonne, mit der ich reiste, zum Tor hinein, als sie auch schon überfallen und geplündert wurde, und man hätte mich gewiß ausgeraubt, wäre ich nicht als Arzt gekommen. Immerhin mußte ich Rael unter dem Arm tragen, um ihn vor den hageren, grimmig blickenden Männern zu schützen, die ihn gerne gebraten und verzehrt hätten. Zu meinem Glück wüteten Krankheiten in der ganzen Stadt, und die Arzneivorräte waren zu Ende. Es wäre mir wohl gutgegangen, wären Speise und Trank nicht so teuer gewesen, daß all mein Verdienst im Nu für Brot, Fleisch und Wein für mich und meinen Hund aufging.
Als ich hier kurz vor Weihnachten eintraf, erfuhr ich, daß Frundsberg längst mit zwölftausend Pikenieren nach Süden gezogen war und nun den Herzog von Bourbon drängte, Mailand zu verlassen und beide Heere unter seinem Befehl zu vereinigen. Das Herzogtum war ausgesogen, seines letzten Kornsackes, Huhnes und Schweines beraubt, und in ganz Mailand gab es keine Tür, die nicht erbrochen worden war. Bourbon und seine Offiziere schmolzen ihr Silberzeug, ihren Schmuck und ihre Goldketten ein und ließen daraus Münzen schlagen, um sie unter die Leute zu verteilen und so eine Meuterei zu verhindern und sie zum Marsch zu bewegen. Obwohl ich als Neuankömmling nicht auf den Sold eines Feldschers hoffen konnte, blieb mir doch keine andere Wahl, als mit ihnen zu ziehen. Ich kaufte einen zottigen Esel, belud ihn mit meinen Habseligkeiten und brach mit des Herzogs Heer zu Ende des Monats Januar auf. So begann für mich das blutige, unvergeßliche Jahr 1527.
Inzwischen waren die Truppen der heiligen Liga unter dem Herzog von Urbino mit Frundsbergs Leuten zusammengestoßen; ohne Zweifel wollten die Italiener die Vereinigung der kaiserlichen Heere verhindern. Dennoch zog sich der Herzog von Urbino nach einigen Rückschlägen zurück, um zu überlegen, wie er der Sache Venedigs am besten dienen konnte. So trafen wir am Fluß Trebia mit Frundsberg zusammen. Schon am ersten Abend lagen sich Deutsche und Spanier in den Haaren, und ich mußte so viele Verwundete
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