Mick Jagger: Rebell und Rockstar
neue Vertragsverhandlungen an. Mit ihrer 81er-Tour waren sie zum größten Live-Act der Welt geworden. Sie waren heiß begehrt, und Walter Yetnikoff, der ihnen alles versprach, was sie haben wollten, gelang es, sie zu CBS zu holen. Mick Jagger fand, dass nun die Gelegenheit günstig war, endlich eine Solokarriere zu starten – wovon Keith und die anderen Stones angeblich nichts wussten. Wie man inzwischen weiß, wollte sich auch Michael Jackson damals ein für allemal als Solokünstler etablieren, wobei er sich jedoch – ähnlich wie Mick gegenüber den Stones – seiner Familie gegenüber verpflichtet fühlte, die ihm seine Karriere ermöglicht hatte. Seine Familie setzte ihn unter Druck mit der Forderung, das Familienvermögen zu vermehren und aus dem beispiellosen Erfolg von Thriller Kapital zu schlagen, indem er mit seinen Brüdern auf eine große Stadion-Tour gehen sollte, um das in aller Eile eingespielte Jacksons-Album Victory zu promoten. Er erklärte sich zwar bereit dazu, hatte aber noch einen Trumpf im Ärmel.
»State of Shock« ist ein verdammt guter Song, der deshalb so fantastisch ist, weil er verschiedene Einflüsse in sich vereint.
Es gibt nur wenige Beispiele für zwangsläufige Hits in der Geschichte des Rock’n’Roll. Viele der Alben, die man für garantierte Chartstürmer hielt, floppten. Die Plattenfirmen ließen viel zu hohe Stückzahlen pressen, und es gab massenweise Rückläufer. 1984 hätte Michael Jackson allerdings sogar einen Liter Pepsi saufen und das Alphabet runterrülpsen können und damit trotzdem für enorme Umsätze gesorgt. Ein Song aus seinen Jugendjahren, »Farewell My Summer Love«, kletterte in diesem Jahr in die Top Ten. Er sang die Hookline zu Rockwells »Somebody’s Watching Me« und der Song schnellte in den Charts auf Platz zwei. Mick Jagger konnte zu dieser Zeit einen Solohit gut gebrauchen und Michael Jackson, der gerade erst die Rassenschranke überwunden hatte, die MTV ebenso wie etliche Radiosender gegen farbige Künstler errichtet hatten, wäre mit einem Rock’n’Roll-Hit hervorragend bedient gewesen. (Michaels Mutter und sein älterer Bruder Jermaine sollen sich übrigens sehr dafür eingesetzt haben, ein Michael-Jermaine-Duett zum Herzstück von Victory zu machen.)
© Ken Regan /Camera 5
Mick Jagger und Tina Turner sangen beim Live-Aid-Konzert gemeinsam »State of Shock« und »It’s Only Rock’n’Roll«.
Der Song lag bereits drei oder vier Jahre in der Schublade, als Michael Jackson Mick Jagger fragte, ob er an einem Duett mit ihm Interesse hätte. Jacksons erste Wahl für einen Duettpartner war Freddy Mercury gewesen, wovon man sich auf YouTube überzeugen kann, wo Demoversionen der Mercury-Fassung kursieren. Mit David Mason von Traffic und mit Paul McCartney hatte Jackson bereits zwei Songs eingespielt, die ein kleines bisschen in Richtung Rock’n’Roll gingen. Doch sowohl »Save Me« als auch »The Girl Is Mine« sind Balladen. »State of Shock« ist eine harte, raue Rocknummer. »Das war ein makelloser Stones-Riff, was bei den R’n’B-Radiostationen damals der letzte Schrei war«, sagt Musikjournalist Rob Sheffield. »Es war Ray Parker Jr.s ›The Other Woman‹ mal Shalamars ›Dead Giveaway‹, plus ›Let’s Go Crazy‹ von Prince, geteilt durch ›Jungle Love‹ von The Time. Der Song war ziemlich strukturiert und klang eher wie ein Stones-Kracher vom alten Schlag als alles, was die letzten Stones-Alben zu bieten hatten. »State of Shock« machte deutlich, dass Michael Jackson die Stones mindestens ebenso gut imitieren konnte wie die Stones den Hip-Hop (wie auf Undercover ).« Das Stück war in der Schublade gelandet, weil es förmlich auf Mick Jagger gewartet hatte. »Der Song handelt im Grunde genommen davon, wie viel Spaß es macht, Mick Jagger zu sein oder auch nur ihm nahe zu sein.« Im Lauf der Nummer packt Michael Jackson dann wohl auch tatsächlich das Fieber, als ihm ziemlich beseelt »We’re doin’ it!« über die Lippen kommt. »Und genau deshalb hat die Nummer mit Freddy Mercury nicht funktioniert. Wer will schon eine Dreitonmelodie von Freddy Mercury hören?«, so Sheffield. Dass »State of Shock« (das im Juli 84, kurz vor Micks einundvierzigstem Geburtstag, als Single veröffentlicht wurde) so sehr nach den Stones klang, wird Keith gewiss geärgert haben. Dass die Nummer überdies noch mit Platz drei in den Billboard -Charts eine bessere Platzierung erreichte als die letzten drei Stones-Singles, streute nur noch mehr
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