Mick Jagger: Rebell und Rockstar
»Emotional Rescue« ist der vielleicht ausgefallenste Stones-Song, der je veröffentlicht wurde. Wie Lennons »Happiness Is a Warm Gun« ist es ein wahres Pop-Opus. Mick singt die Strophen mit seiner Kopfstimme; wieder einmal richtet er seine Worte an eine Dame in Not, eine Frau im goldenen Käfig. Wie schon bei »Miss You« basiert der Groove auf einer Disco-Bassline, die stark an den Chic-Bassisten Bernard Edwards erinnerte, was übrigens für viele der damaligen Hits galt. Charlie spielt den Discobeat geradezu swingend; Four-on-the-floor und schwerelos wie der Dunst einer Nebelmaschine. Mick schrieb den Song allein an einem E-Piano, was ihm womöglich dieses spätabendliche, soulige Großstadtfeeling verlieh. Bobby Keys gewundenes, entfernt an Softporno-Filme erinnerndes Saxofonspiel ist ein weiteres Highlight der Nummer. Es ist Rollschuhdisko kompatibler Avantgarde-Pop, den frühen Mainstream-Hits der Post-Punk-Bewegung wie »Money« von den Flying Lizards, »Pop Muzik« von M und »Rock Lobster« von den B-52’s gar nicht so unähnlich. Der Song zeigt, in welche Richtung Mick die Band gerne geführt hätte. Keith, der seit den späten 70ern vom Heroin runter war, konnte nicht verstehen, was so schlecht daran sein sollte, nichts weiter zu sein als eine verdammt gute Bluesrockband. Es war eine neue Welle, und offenbar hatte nur einer der beiden Glimmer Twins Lust, auf ihr zu reiten.
Die Stones machten auch optisch immer noch ein Menge her. Zwischen März und Juli 1980 drehten sie zwei Videos zu »Emotional Rescue«: eines aufgenommen mit einer Wärmebildkamera unter Stroboskopbeleuchtung, was stilistisch an das Cover des gleichnamigen Albums erinnerte, und ein zweites, in dem die Band in einem Raum vor einer rot-weiß-schwarzen Kulisse auftritt; einige Ausschnitte aus dem Wärmekamera-Clip sind auch in Video Nummer zwei zu sehen, hauptsächlich jedoch präsentieren sich darin die Stones selbst mit ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten. Es waren die ersten Bilder, die eine neue Generation von den Stones zu sehen bekam. Die Band fand sich beeindruckend schnell mit den Anforderungen des Videozeitalters zurecht, was im Wesentlichen an der Einstellung lag, mit der die einzelnen Mitglieder den Dreh angingen. Die meisten Stars der 60er, die ihre ersten Schritte im Videouniversum machten, blickten entweder gewollt mürrisch in die Kamera oder kamen mit der Playback-Technik nicht so recht klar (ein gutes Beispiel dafür sind die frühen Moody-Blues-Videos). Nur wenige kamen auf Anhieb mit der Kamera zurecht: Rod Stewart, Robert Plant als Solokünstler, Paul McCartney und natürlich der schillernde Elton John.
Im Video zu »Emotional Rescue« präsentieren sich die Stones nicht als die »Gang«, über die sich John Lennon lustig gemacht hatte, und dabei wirkten sie vollkommen zufrieden mit sich selbst. Sie grinsen sich an, als wollten sie sagen: »Ist das nicht völlig irre, Leute. Wir drehen ein – ›Video‹. Hä? Früher haben wir so was ›Promo‹ genannt.« Keith wirkt wie ein Rock’n’Roll-Löwe, gesund und fit, mit ein paar Silberfäden im Haar. Ron Wood sieht aus, als hätte ihm gerade irgendwer einen unglaublich versauten Witz erzählt (wobei er eigentlich immer so aussieht). Selbst Charlie kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. Das Video zu ihrer nächsten Single »She’s so Cold« ist sogar noch besser. Keith glänzt im Leopardensakko und Mick in einem schwarz-roten Outfit. Jagger singt in ein Mikrofon mit Schachbrettmustergriff – New-Wave-Design in Vollendung –, und steht mit der Band in einem strahlend weißen Raum, der an ein kleines Kühlhaus erinnert. »When I touch her, my hand just froze!«, singt er und blickt mit gespieltem Schrecken auf seine zur Klaue erstarrte Hand. Die Videos zu den Singles ihres 81er-Klassikers Tattoo You legen sogar noch einen drauf. In weißen Jogginghosen und einem hautengen lila Muskelshirt singt Mick »Start Me Up«, während er Gymnastikübungen à la Joe Jagger vollführt. »Hang Fire« und »Neighbors« sind witzig und dynamisch, doch der beste Videoclip von allen ist der zu »Waiting on a Friend«. Hierin wird ein fauler Tag in Lower Manhattan perfekt in Szene gesetzt; man sieht Mick, wie er auf den Eingangsstufen eines Hauses im New Yorker East Village sitzend auf Keith wartet. Die Stones hatten den Dreh mit den Videos raus. Und sie schrieben immer noch einen Hit nach dem anderen.
© Rex USA
Mit David Bowie im Video zu »Dancing in the Streets«, das
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