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Mick Jagger: Rebell und Rockstar

Mick Jagger: Rebell und Rockstar

Titel: Mick Jagger: Rebell und Rockstar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Spitz
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ausschließlich auf Davies. »Da waren all diese Musikfreaks, die irgendeine Anlaufstelle brauchten, ein ganzer Haufen Anoraks«, erinnerte er sich. »Das Publikum bestand in der Hauptsache aus Typen – die meisten davon waren ziemlich grässlich. Mädchen musstest du mit der Lupe suchen.«
    Keiner dieser jungen Briten durfte hoffen, auch nur entfernt an Muddy Waters heranzureichen, dennoch gab sich der aus Cheltenham stammende Elmo Lewis alias Brian Jones die größte Mühe. Kurz nachdem Mick und Keith regelmäßig im baufälligen und schlecht belüfteten Ealing Club verkehrten, lernten sie Jones und dessen Freund Ian Stewart kennen – so konservativ wie Letzterer gekleidet war, wirkte der damals gerade 25-Jährige viel älter als er war. Genau wie Mick und Keith war auch Brian als Teenager zum leidenschaftlichen Bluesfan geworden. Aber während Mick in Dartford noch Liegestütze machte und Keith am Art College vor sich hindümpelte, war Jones – anders als es sein flachsblondes Haar, sein bleicher Teint und seine engelsgleichen Gesichtszüge vermuten ließen – schon als echter nachtaktiver Hoochie Coochie Man unterwegs, der überdies bereits Vater von drei unehelichen Kindern war. Im Ealing Club, wo sein musikalisches Talent gewürdigt wurde, war er mittlerweile eine feste Größe. Regelmäßig stand der Gitarrist mit Blues Incorporated auf der Bühne. Mick und Keith konnten davon in ihren alten Sweatshirts und Cordjacketts damals nur träumen. Hin und wieder erhielten sie die Chance, ein oder zwei Songs zu spielen, während Korner und Davies eine Pause machten, aber Jones war im Vergleich dazu ein gestandener Musiker. In den Augen der beiden war er ein Held; sie beneideten ihn um sein Talent, seine Haltung und seinen Stil und sie strebten danach, es ihm gleichzutun.
    Als Mick begann, sein Hobby richtig ernst zu nehmen, lieh er sich von seinen Eltern Geld, um für Little Boy Blue besseres Equipment zu kaufen. Wo sie nun schon einmal einen Fuß in der Tür hatten, wollten sie sich auch Anerkennung verdienen. Ihnen war bewusst, dass sie sich richtig ins Zeug legen mussten, um von den echten Fans ernstgenommen zu werden. 1962 bestand die Szene aus gerade einmal zweihundert Mann, aber diese zweihundert waren sehr wählerisch, und so kam es, dass sich Mick bald ebenso gründlich mit Little Walter und Sonny Boy Williamson auseinandersetzte wie mit Marx, Engels und Keynes.
    »Die Stones und ihresgleichen wähnten sich auf einer Mission«, schreibt George Melly in seinem Buch Revolt Into Style . »Sie wollten den Blues predigen und sie wollten ihn leben. Doch worum ging es beim Blues überhaupt?« Genau das war die Frage, die sie Abend für Abend bei Bier und Fish and Chips diskutierten. Diese leicht zu beeindruckenden jungen Mods, die nichts besaßen außer ihren Instrumenten, ein paar Importplatten, ein bisschen Bargeld und einem vor allem in sexueller Hinsicht allmählich größer werdenden Erfahrungsschatz, analysierten die Form, die Mode und die politischen Aspekte des Großstadt- und Südstaaten-Blues, ohne fremden fachlichen Beistand – allein ihre rigorosen Normvorstellungen hielten die Gespräche in Gang. »Wir nahmen das ernst, sehr ernst«, sagte Jagger. »Wenn wir diskutierten, waren wir wie Studenten, die leidenschaftlich Argumente austauschen und ihren Standpunkt vertreten.«
    Doch schon in dieser Anfangsphase zeigte sich, dass die strengen Regeln eher theoretisch als praktisch relevant waren, da bereits vieles miteinander vermischt wurde. Trotz ihres neu erlangten Selbstvertrauens wagten es Mick und Keith nicht, ihre durchaus toleranten Ansichten zu offenbaren. Denn von Bluespuristen wie Ian Stewart oder Brian Jones wurde Rock’n’Roll nicht ernst genommen. Diese Kreise, die der reinen Lehre anhingen, konnten mit Rock’n’Roll nichts anfangen, sie empfanden ihn als Zumutung. Mick und Keith jedoch mochten beides. Und genau das machte sie insgeheim überlegen und verhalf den Rolling Stones letzten Endes, als die Rockmusik durchstartete, bis ganz nach oben zu kommen.
    Micks Stimme klingt nie so natürlich soulig oder »schwarz« wie etwa die von Steve Winwood, der aus Birmingham stammt. Während Winwood sagenhaft authentisch klingt, hört man Mick immer an, wie er sich anstrengt, was seine Phrasierung allerdings ungemein interessant macht. In Anbetracht seines Talents, andere nachzuahmen, wäre es für Mick leicht gewesen, sich diesen geschmeidigen Minstrel-Show-Bariton anzueignen, der an schwarze

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