Mick Jagger: Rebell und Rockstar
und Letztere grauenhaft war). Ihr Drummer, Keith Moon, mischte sich sogar im Mod-Outfit und sonnenbebrillt mit dem Schild »Stoppt die Popstar-Hetze« unter die Demonstranten. Insgeheim waren die Stones zutiefst bewegt, öffentlich jedoch machten sie aus dem Kampf »Sie gegen Uns« exzellentes Gerichtstheater.
Auf die Frage des Staatsanwalts »Würden Sie nicht auch sagen, dass eine junge Frau üblicherweise peinlich berührt wäre, wenn sie in der Gegenwart von acht Männern – darunter zwei Dahergelaufene und ein marokkanischer Dienstbote – nichts außer einem Teppich um den Leib trägt?« antwortete Richards: »Ganz und gar nicht.« Und als er gedrängt wurde, seine Antwort zu präzisieren, fügte er hinzu: »Wir sind keine alten Männer. Wir machen uns keine Gedanken über kleinkarierte Moralvorstellungen.«
Allen war klar, dass sie diese Schlacht nicht gewinnen konnten. Die ganze Welt schaute auf sie. (Die Presse berichtete sogar über die Speisen, die ins Gericht geliefert wurden, als handele es sich um hochrangige Staatsoberhäupter: »Für Mick gibt’s heute geräucherten Lachs.«) Man wollte an ihnen ein Exempel statuieren, und die Strafen, die man ihnen aufbürdete, waren hoch, sie standen in keinem Verhältnis zu den ihnen vorgeworfenen Vergehen. Mick bereitete sich auf alles vor. Er hatte all seine geschäftlichen Angelegenheiten geregelt und sich sowohl mit Marianne Faithfull als auch mit seiner Familie ausgesöhnt, die während des gesamten Verfahrens hinter ihm standen. Doch als er sich am Morgen des 29. Juni 1967 vor dem Richter erhob, traf ihn dessen Urteilsspruch bis ins Mark: »Michael Philip Jagger, Sie werden eine dreimonatige Haftstrafe verbüßen.« Er bemühte sich, keine Regung zu zeigen, als ihm das Ausmaß dieser Strafe bewusst wurde und ein ungläubiges Raunen durch die Reihen hinter ihm ging, dennoch stockte ihm der Atem. Er riss sich so gut er konnte zusammen, um aufrecht stehenzubleiben. Eine innere Stimme sagte ihm: »Sieh zu, dass sie dich nicht kleinkriegen, biete ihnen die Stirn.« Richards wurde zu sechs Monaten Zuchthaus verurteilt. Fraser erhielt eine noch härtere Strafe, er musste für ein Jahr hinter Gitter. Nur der tragische Unfalltod der Sexbombe Jayne Mansfield auf einem Highway in New Orleans lenkte an diesem Abend ein wenig von dem fast surreal anmutenden Prozessausgang ab. Würden die Stones tatsächlich die nächsten neunzig Tage hinter Gittern verbringen müssen, in der typischen Gefängniskluft, Zelle an Zelle mit Vergewaltigern und Mördern?
In der Zeit zwischen Razzia und Prozess hatten die Stones einen Promotion-Film für »We Love You« gedreht, eine eilig eingespielte Nummer, die einerseits als Danksagung an ihre treuen Fans gedacht war und andererseits als Überbrückungshilfe für die kommenden Wochen, falls die Band nicht in der Lage wäre, neues Material aufzunehmen und zu veröffentlichen. Der Song »We Love You«, dem man genau anhört, wie hastig er eingespielt wurde, beginnt mit dem Geräusch einer zufallenden Gefängnistür. John Lennon und Paul McCartney zeigten sich solidarisch und wirkten bei diesem Song beim Backgroundgesang mit, ihre Stimmen sind allerdings nicht herauszuhören. Der Text ist ziemlich einfallslos: »We don’t care if you hound we. And love is all around we …« Die vom Klavier getragene Hookline ist eingängig und bleibt im Ohr (ob man will oder nicht), aber es ist sicher nicht das Beste, was Mick oder Keith aufgenommen haben, und nach dem grandiosen Aftermath ist es eine eher unbedeutende Nummer. Peter Whitehead, den man gebeten hatte, den Promo-Film zu drehen, dachte sofort an die anstehende Verhandlung und den zu befürchtenden Urteilsspruch und hatte damit das Thema für den Clip gefunden. »Für mich war es eines dieser Verbrechen des Establishments gegen Künstler, wie es auch bei Oscar Wilde der Fall gewesen war.« Als Mick von Whiteheads Idee erfuhr, war er gleich davon begeistert.
Man fand eine Kirche, die als Gerichtssaal fungierte, Faithfull wurden die Haare abgeschnitten, damit sie an Bosie erinnerte, und Keith stand in der Rolle des Marquess vor Mick und sprach das Urteil über ihn. In einer Szene wird ein Fellteppich als Beweisstück vorgelegt, womit natürlich auf die Sensationsstory über Miss X und den Marsriegel angespielt wird. Der Film ist weitaus besser als der Song. Auf Mick (der in einer Szene nackt und in den Teppich gehüllt zu sehen ist) scheint die Darstellung vom »Mord« an Wilde (der sich nach
Weitere Kostenlose Bücher