Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mick Jagger: Rebell und Rockstar

Mick Jagger: Rebell und Rockstar

Titel: Mick Jagger: Rebell und Rockstar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Spitz
Vom Netzwerk:
seiner Verurteilung weder privat noch künstlerisch je wieder erholte) ein kathartische Wirkung gehabt zu haben. »Ich glaube nicht, dass sie Angst hatten«, sagt Whitehead, »sie waren nur verzweifelt und regelrecht erschüttert über das Verhalten der rechts-konservativen britischen Regierung. Sie waren fest davon überzeugt, dass sie im Gefängnis landen würden. Was eben auch bedeutet, in einer Zelle zu leben.«
    Nach einer letzten gemeinsamen Mahlzeit und einem tränenreichen Abschied wurden sie getrennt. Richards kam ins Londoner Wormwood-Scrubs-Gefängnis, Mick und Robert Fraser landeten auf der Krankenstation des Lewes-Gefängnis, das rund vierzig Meilen von der Hauptstadt entfernt war. Während Micks und Keiths erster Gefängnisaufenthalt kaum vierundzwanzig Stunden gedauert hatte, deutete diesmal nichts darauf hin, dass sie vor dem Ende der im Urteil festgelegten Haftzeit herauskommen könnten.
    Es müssen für Mick die ersten wirklich ruhigen Momente in den vergangenen dreieinhalb Jahren gewesen sein. Wie sollte er sich die Zeit vertreiben, wenn die Minuten so langsam vergingen wie Tage? Gerade hatte er noch Zugang gehabt zu allem, was ihn interessierte und inspirierte – und nun: nichts. Er war immer noch er selbst, innerlich und äußerlich. Er litt nicht unter Mangelerscheinungen, niemand hatte ihm Gewalt angetan, sie hatten ihm nicht einmal die Haare geschoren oder ihn einer Leibesvisitation unterzogen. Er saß lediglich hinter Schloss und Riegel. Aber wie lautete noch gleich die Philosophie der LSD-Gurus? Waren die Gedanken nicht frei? Wenn er tatsächlich ein Märtyrer des neuen Bewusstseins war, musste er dann nicht auch dessen Standhaftigkeit unter Beweis stellen?
    Marianne Faithfull brachte ihm bei einem Besuch Zigaretten, Papier und Schreibutensilien mit. Als er sie sah, fiel alle zur Schau gestellte Lässigkeit von ihm ab und er brach in Tränen aus. Er hatte sein Gesicht gewahrt, er war ein guter Anführer. Nicht jeder Popstar war für diese Rolle geboren. Lennon schon. McCartney bemühte sich. Dylan zog den Schwanz ein. The Moody Blues kamen als Anwärter für diesen Posten gar nicht erst infrage, ebenso wenig wie Donovan. Nur die wenigsten finden Geschmack daran, an einem Tag wie Everybody’s Darling behandelt und am nächsten hinter Gitter gebracht zu werden; von der einen Hälfte der Nation als Held verehrt und von dem Rest (dummerweise der Hälfte, die die Macht hat, dich fertigzumachen) für einen Schuft gehalten zu werden. Gerade einmal fünf Jahre waren seit seiner Kindheit in Dartford vergangen. »Rockstars wie Mick und Keith zu inhaftieren, war hauptsächlich eine politische Einschüchterungstaktik«, sagt Caroline Coon. »Und ich gehe davon aus, dass sie Mick und Keith, wie alle anderen, die den obersten Staatsbehörden ausgeliefert waren, durchaus eingeschüchtert haben. Polizeiliche Schikanen üben einen sehr eigenen, das Private stark tangierenden Druck aus.«
    Keith hat Geschichten über Mitgefangene erzählt, richtig schwere Jungs und von der Gesellschaft Ausgestoßene, die ihn wie ihresgleichen behandelten, ihm anerkennend hinterhergrölten, als man ihn zu seiner Zelle führte. Sie sollen ihm sogar Zigaretten in die Zelle geworfen haben. Von Mick hört man solche Geschichten nicht. Seine Erfahrungen hat er uns weitaus konkreter überliefert, was möglicherweise ein Beleg für seinen gefestigteren Charakter ist. Während seiner Zeit im Gefängnis schrieb Mick einen Teil der Lyrics zu »2000 Light Years from Home«, dem besten psychedelischen Song der Stones. Er handelt von Einsamkeit, von der Entfremdung von der Gesellschaft mit ihren Zwängen und Normen. Dem Zeitgeist entsprechend wird als surreale Metapher dafür eine Reise in den Weltraum verwendet. Rein physisch betrachtet steckte Mick in einer engen Zelle, doch sein Geist schwebte davon, entfernte sich erst hundert, dann zweihundert, dann sechshundert, dann tausend und schließlich sogar zweitausend Lichtjahre von den grauen Eisenstangen, die ihn umgaben, bis er schließlich von der brennend heißen Oberfläche des Aldebaran, einem Stern im Sternbild Stier, der schon Thomas Hardy und Tolkien als Muse diente, auf die Erde hinabblickte. Durch die Erwähnung Aldebarans wird der Song zur Utopie, denn dieser Stern wird in etlichen Science-Fiction-Erzählungen als bewohnbar beschrieben. Wie de Sade, Wilde, Genet und Orton verwandelte Jagger seine Zelle in ein Studierzimmer. Doch er war nicht der Einzige, an dem die fragwürdige

Weitere Kostenlose Bücher