Mick Jagger: Rebell und Rockstar
einheitlich gekleideten Komiker waren, machte den versöhnlichen Gegenvorschlag, die Musik leiser zu stellen. Bei Fraser entdeckten die Beamten eine geringe Menge Heroin und in einem Mantel, den Mick als den seinen ausgab, obwohl er Marianne Faithfull gehörte, fanden sie ein paar Pillen gegen Erschöpfung, die allerdings legal in Italien gekauft worden waren. Schneiderman untersagte den Beamten, die Filmdosen zu öffnen, in denen er seine Drogen aufbewahrte, mit der Begründung, dass sich belichtbares Filmmaterial darin befände. Der ganze Spuk war nach etwa einer Stunde vorbei, doch bevor die Herrschaften wieder von dannen zogen, erschien noch Marianne Faithfull auf der Bildfläche. Sie hatte gerade ein heißes Bad genommen und ihre Blöße nur mit einem Fellteppich bedeckt, weshalb einige der Beamten ihre Fassung zu verlieren drohten. Berauscht von ihrem LSD-Trip, hielt Marianne Faithfull dies für eine passende Gelegenheit, die Männer ein bisschen zu necken. Sie fand das äußerst amüsant und war zu high, um zu begreifen, wie sehr sie die ohnehin schon nicht gleichmütigen Beamten damit anheizte. Die schlüpfrigen Fantasien, die sie damit heraufbeschwor, waren schon bald das Gesprächsthema der ganzen Polizeiwache und fanden von dort auf direktem Wege zu den Medien. Durch ihre Unbedachtheit trug Marianne Faithfull zur Geburt eines erstaunlich langlebigen Geschöpfs der Boulevardpresse bei: Miss X.
Als Miss X zog man Marianne Faithfull komplett aus, man nahm ihr die Würde, ihren Namen und ihre Identität als Micks Partnerin. Umhüllt von »einer Wolke starken Parfüms« soll Miss X Dinge getan haben, die man eben von einer Miss X erwartet. Infolge der Geschichten, die der Öffentlichkeit zu Ohren kamen, war sie vollends zum Freiwild geworden, auf das jeder mit seinen schmutzigen Fantasien anlegen durfte, und schon bald war eine neue moderne Legende geboren. Dieser zufolge soll Marianne Faithfull, als die Beamten die Party stürmten, nackt dagelegen haben, lediglich von einem Pelz bedeckt, wobei allerdings ein in ihrer Vagina steckender Mars-Riegel zu sehen gewesen sein soll, der angeblich nur darauf wartete, von Mick gegessen zu werden.
Als der Rausch nachließ, machte sich Paranoia breit. Man rief Anwälte an, man stellte Fragen. Irgendjemand hatte sie verpfiffen, aber wer? Die Hauptverdächtigen waren die beiden Hippie-Typen, die kaum jemand kannte: Schneiderman und Kramer. Sie gehörten nicht zu ihrer Clique, sie hatten sich nur irgendwie an sie drangehängt. Kramer soll von dem in der Londoner Nachtclubszene bekannten Schläger David Litvinoff verprügelt worden sein. Litvinoff, der später auch als Berater bei Micks erstem Kinofilm Performance tätig war, gehörte zum Dunstkreis der Kray Brüder, einer berüchtigten Londoner Gangsterbande. Nachdem er so lange auf Kramer eingedroschen hatte, dass man ein Geständnis hätte erwarten dürfen, sofern es etwas zu gestehen gegeben hätte, wurde Kramer für sauber befunden. Schneiderman war wie vom Erdboden verschluckt. Er muss es gewesen sein, der sie an die News verpfiffen hatte. Innerhalb einer Woche schlug die allgemeine Stimmung um, von »All You Need Is Love« hin zu »Alles, was du brauchst, ist ein guter Anwalt«. »Als sie uns in Redlands am Wickel hatten, wurde uns plötzlich klar, dass wir in einer ganz anderen Liga spielten, und dass da der Spaß aufhörte«, erinnert sich Marianne Faithfull. »Bis dahin hatte es so ausgesehen, als befände sich London in einer wunderbaren Seifenblase, in der man tun und lassen konnte, was man wollte.« Gehetzt und paranoid verließen die Stones in diesem Winter London und warteten auf ihren Gerichtstermin.
Brian Jones vermutete völlig zu Recht, dass er der Nächste war, den die Polizei hochnehmen wollte. Mick und Marianne Faithfull zogen sich nach Spanien und Marokko zurück, während sich ihre Anwälte auf die Verhandlung vorbereiteten und die Boulevardblätter sich täglich gegenseitig mit neuen pikanten Details über die Redlands-Razzia zu übertrumpfen versuchten. Bemerkenswerterweise haben gerade diese Boulevardblätter auch dazu beigetragen, dass die Londoner Jugendlichen einen nie zuvor erlebten Aufstand probten und Mick und Keith zu Volkshelden machten. »Clive Goodwin, der Herausgeber der marxistischen, extrem regierungskritischen Zeitung Black Dwarf hatte erfahren, dass News of the World im Begriff war, eine weitere reißerische Verleumdungskampagne gegen Jagger zu initiieren«, erinnert sich Caroline
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