Mick Jagger: Rebell und Rockstar
in den 70er-Jahren nach, wenn sie sich in dieser Hinsicht zurückhielten. Es ist ja schlicht so, dass gerade in den Zeiten, in denen sich ein großer soziokultureller Wandel vollzieht, die aufbegehrenden jungen Leute darauf angewiesen sind, dass sich ihre Idole auf ihre Seite stellen. Und je größer das Idol, desto größer sind die Erwartungen, die in dieses Idol gesetzt werden.
Als Lyndon B. Johnsons Konzept von der Great Society langsam an Strahlkraft verlor und der Vietnamkrieg eskalierte, als die Bürgerrechtsbewegung auf gewalttätigen Widerstand stieß, der von denen ausging, die jeglichen Fortschritt fürchten, als die Frauenbewegung immer weitere Kreise zog und Arbeiter rund um den Globus auf die Straße gingen, um mehr Rechte und fairere Löhne einzufordern, erwartete man von den Rockstars, die man als Generäle und Majore der mobilgemachten Gegenbewegung betrachtete, den Aufständischen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Einige Stars wie Marlon Brando und Jane Fonda legten ein Engagement an den Tag, das fast schon an Übermut und Vermessenheit grenzte. Die Singer-Songwriter Phil Ochs und Joan Baez waren da um einiges bodenständiger und pragmatischer, doch ihnen fehlte der Status eines Dylan, Brando, Lennon oder Jagger. Mick kam zum ersten Mal durch das Parlamentsmitglied Tom Driberg in Kontakt mit der politischen Linken. Driberg war ein progressiver homosexueller Labour-Politiker, der gut vernetzt war mit einigen Protagonisten der neuen Jugendkultur (Alan Ginsberg zählte zu seinen engeren Freunden). Er schlug Mick vor, selbst für das Parlament zu kandidieren, um sich die Stimmen der Millionen britischen Babyboomer zu sichern, die 1966 zum ersten Mal wählen durften. Mick fühlte sich zwar geschmeichelt, lehnte aber ab. Als die Linken zunehmend einflussreicher wurden, behielten sie diese neue Art von Leitbild jedoch im Auge.
»Natürlich hatten wir sie im Blick, schon allein deshalb, weil wir zu ihrer Musik tanzten. Die Stones und die Beatles waren die populärsten Bands zu jener Zeit. Wir hielten die Beatles damals nicht unbedingt für radikal, sie machten einfach nette Musik. Aber Jagger – nun, er und seine Musik wirkten damals nicht ganz so glatt, und ihm gefiel nicht, was abging, weder in sexueller noch in politischer Hinsicht, das war ziemlich klar«, so Tariq Ali, einer der führenden Köpfe der britischen Studentenbewegung. »Wer auch nur eine Spur radikal war, musste auf die Demos gehen – und er musste gleichzeitig darauf vorbereitet sein, von der Regierung und ihren Sympathisanten angefeindet zu werden.«
Das Jahr 1968 schied die sich in der Problemanalyse ergehende Generation von der, die nach Lösungen suchte. Die Menschen wollten jetzt wissen, was ihre Idole wirklich taugten. Waren sie nur Touristen, die kaum mehr als einen kurzen Blick auf die Revolution warfen, um anschließend wieder nach Hause zu gehen, oder würden sie sich an die Spitze ihrer Bewegung stellen? »Die Leute zeigten echtes Engagement. Wir waren wirklich überzeugt, dass wir etwas verändern konnten, wenn wir unseren Arsch hochbekamen. Überall herrschte eine ungemeine Aufbruchstimmung, und die Leute ließen sich dadurch mitreißen«, erinnert sich Ali.
Zum Gefolge der Stones gehörten unter anderem Drogendealer, radikale Aktivisten wie Michael X und Schläger aus dem engeren Umfeld der Londoner Gangsterbande von Reggie und Ronnie Kray, doch das schien ihrer neuen Beliebtheit keinen Abbruch zu tun. Die Jugendbewegung der späten 60er war durchaus nicht homogen, sie war ebenso eine soziale wie eine politische Bewegung. In gewissen Kreisen war der Vietnamkrieg lediglich eine Metapher für das allgemeine Gefühl der Wut und der Rastlosigkeit. »Es ging um den Krieg, doch eigentlich ging es dabei nicht um den Krieg – im Grunde genommen ging es um alles«, sagt der Journalist und Politaktivist Mick Farren. »Es war ein ziemlich gefährliches Gebräu.«
Courtesy of the Cecil Beaton Studio Archive at Sotheby’s
Der dunkle Prinz der neuen Jugendkultur, 1967.
Demonstrationen waren Mitmachtheater-ähnliche Veranstaltungen und Medienevents, die geile Studenten und übereifrige Journalisten ebenso anzogen wie die Leute, die einem politischen Bekenntnis anhingen – ganz gleich ob aus dem linken oder rechten Spektrum. 1968 gab es etliche Zyniker, die an politischen Versammlungen, ja sogar an Krawallen teilnahmen, als wären es gesellschaftliche Events. Von dieser Warte aus betrachtet könnte man das Interesse, das John
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