Mick Jagger: Rebell und Rockstar
Lennon oder Mick Jagger an der Antikriegs- und Bürgerrechtsbewegung zeigten, als ein wenig ernsthafter ansehen. Immerhin mussten sie keine Mao-Plakate vor sich hertragen, um irgendjemanden abzuschleppen. Wenn Mick Jagger in Interviews, die im NME oder dem kurz zuvor gegründeten Rolling Stone erschienen, mit ein paar marxistischen oder anarchistischen Phrasen um sich warf, war das so etwas wie ein Test, um herauszufinden, inwieweit sich die politische Theorie, über die in den Seminaren an der LSE diskutiert worden war, in der grauen Realität niedergeschlagen hatte. »Ich sehe große Gefahren heraufziehen«, sagte er damals. »Das hier ist ein Protest gegen das System. Ich sehe auch eine Menge Ärger am Horizont auftauchen. Wir haben die ersten Schritte getan, jetzt müssen wir zu Ende bringen, was wir angefangen haben. Es ist absoluter Mist, wie die Dinge in Großbritannien und in den Staaten laufen. Die Zeit ist reif. Die Revolution ist legitim. Die jungen Leute sind bereit, die Mietskasernen und die stinkenden Fabrikgebäude, in denen sie ihr Leben fristen müssen, niederzureißen. Ich werde alles tun, was getan werden muss, um das, was da draußen passiert, zu unterstützen.«
Doch auch eine Palastrevolution will gründlich geplant sein, und man kann sich kaum vorstellen, dass jemand wie Lennon oder Jagger an regelmäßigen Vorbereitungstreffen teilnimmt. Dennoch glaubten beide – und erklärten das auch öffentlich –, dass ihnen dabei irgendeine Rolle zukam, eine Schlüsselrolle. Sie hofften wohl, dass ihre Bands dadurch nicht nur als herausstechende Popgruppen wahrgenommen würden, sondern als wirklich einflussreiche Kräfte, die tatsächlich irgendetwas Gutes bewirken konnten. In einem Interview mit dem Rolling Stone sagte Lennon in Anlehnung an seinen Songtext von »Revolution«: »Wissen Sie, Sie können nicht auf mich zählen, oder vielleicht doch, wie Yin und Yang. Ich bevorzuge ›nicht‹. Aber es steckt immer auch ein Teil des anderen in uns.«
Das Tempo, in dem sich die Welt veränderte, war schwindelerregend. Monat für Monat las und hörte man von neuen Studentenunruhen überall auf der Welt. Es waren so viele, dass man kaum mehr an einen Zufall glauben mochte, eher an irgendeine Art kosmischer Synergie. Es war ein deutliches Zeichen für alle, die noch zwischen den Stühlen saßen, sich für eine Seite zu entscheiden oder zumindest aus der Schusslinie zu gehen. College-Studenten aus New England traten in Hungerstreik, Mitglieder verschiedener Widerstandsbewegungen gingen in Spanien, Westberlin, Polen und Brasilien auf die Straße. Die IRA und die PLO, die radikalen Feministinnen und die Black Panther Party erfreuten sich großen Zuspruchs und Che Guevara wurde heiliggesprochen. Und am 17. März versammelten sich in London 25.000 Menschen am Grosvenor Square, um vor der amerikanischen Botschaft gegen den Vietnamkrieg zu demonstrieren; es war die bis dahin größte Anti-Vietnamkriegs-Demonstration in England. Da sie vorab einen Hinweis erhalten hatte, war auch die Polizei in voller Stärke angetreten. Hoch zu Ross und ihre Schlagstöcke schwenkend, ritten die Bobbys durch die Menge, um den aufgebrachten und potenziell gewalttätigen Mob im Zaum zu halten. Außerdem hielten sie vorbeifahrende Fahrzeuge an und durchsuchten sie nach Waffen und verdächtigen Gegenständen. »Es schaukelte sich immer weiter hoch«, erinnert sich Farren. »Zunächst war alles ziemlich friedlich geblieben, doch dann machten plötzlich Gerüchte die Runde, dass Leute niedergetrampelt und zusammengeschlagen worden seien. Es ging ein gewaltiger Ruck durch die Reihen bis nach vorne und dann griff die Kavallerie an. Berittene Polizisten. Die Attacke der leichten Brigade! Typen mit extralangen Schlagstöcken, die Köpfe spalteten.«
Nur wenige Gehminuten vom Grosvenor Square entfernt, am Cheyne Walk, wohnte Mick Jagger mit Marianne Faithfull in einem hübsch eingerichteten Apartment. Ihr Freund Christopher Gibbs hatte sich um das Interior Design gekümmert und Marianne Faithfull vervollständigte nach und nach die ausgefallene Einrichtung auf ihren Shoppingtouren. Es sah in ihrer Wolhnung aus wie im Hinterzimmer eines marokkanischen Cafés oder in irgendeinem Schlupfwinkel irgendwo in Bombay. Der ideale Rückzugsort, in dem man inmitten von Antiquitäten und Räucherstäbchen dem Chaos entfliehen konnte. Es war klar, dass auch Mick sich entscheiden musste. Er konnte von seinem Fenster aus beobachten, was auf der Straße
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