Mick Jagger: Rebell und Rockstar
Snare-Drum-Beat. Zusammen mit Nicky Hopkins genialer Klavierbegleitung wird »Street Fighting Man« so zu einem Folksong, dem die indischen Basspfeifen einen leicht psychedelischen Touch verleihen. Miller verwendete für die Aufnahme ein etwas betagteres Tonbandgerät, das für ein Klanggemisch sorgte, das an das Branden und Rauschen der Menge am Grosvenor Square erinnerte. Micks Gesang war schleppend, er klang wie die Stimme eines Mannes, der benommen war von der Hitze, seiner Furcht und dem Überschwang der hoffnungsfrohen Stimmung, bevor er schließlich einsehen muss: »What can a poor boy do exept to sing for a rock’n’roll band?« Interessanterweise sang Lennon »Revolution« auch langsam und bedächtig, fast nachdenklich, auf dieselbe Art also wie er über seine Rolle in der ganzen Sache nachdachte und sich mit der Frage beschäftigte, ob er sich einmischen sollte oder nicht.
»Es war ein großartiger Song«, sagt Farren. »Aber irgendwie wollte Mick damit auf Nummer sicher gehen. Ich ging nicht auf Nummer sicher. Jim Morrison ging nicht auf Nummer sicher. Mick Jagger und die Beatles schon. ›Sie können nicht auf mich zählen, oder vielleicht doch.‹«
Das Chaos und das Blutvergießen waren 68 nicht plötzlich vorbei, nur weil die Stones entschieden hatten, sich ins Studio zurückzuziehen. Während sie im April noch an dem Track arbeiteten, wurde in Memphis Martin Luther King erschossen. Wenig später machten sich, ausgelöst durch Enoch Powells »Ströme von Blut«-Rede, die gegen die sehr liberale Einwanderungspolitik Großbritanniens Stimmung machte, auch in England fremdenfeindliche Tendenzen bemerkbar. In Südafrika gab es bei Protesten gegen die Apartheitspolitik Todesopfer, und im Mai organisierten Pariser Studenten einen Streik gegen die De-Gaulle-Regierung.
Einer der zahlreichen Interessierten, die sich damals in Paris aufhielten, war der Regisseur Jean-Luc Godard. Er verfolgte die Proteste und fragte sich ebenso wie Jagger, ob und wenn ja, auf welche Weise er der Bewegung von Nutzen sein konnte. Zusammen mit anderen bekannten Nouvelle-Vague-Regisseuren wie François Truffaut und Louis Malle sowie osteuropäischen Filmemachern wie Milos Forman und Roman Polanski sorgte er dafür, dass die Internationalen Filmfestspiele von Cannes abgebrochen wurden. Gleichwohl war ihm bewusst, dass seine wahre Stärke in der Rolle des Provokateurs lag. In Interviews verglich Godard, der ehemalige Filmkritiker, der seit seinem bahnbrechenden Film Außer Atem (für den er zusammen mit Truffaut auch das Drehbuch geschrieben hatte) seit nunmehr fast zehn Jahren als Regisseur arbeitete, den revolutionären Künstler – in seinem Fall den Filmemacher – mit den Vietcong.
© Keystone Features/Getty Images
Bei den Aufnahmen für Beggars Banquet in den Olympic Studios im Frühjahr 1968. Im Hintergrund sieht man Jean-Luc Godard, der den Film Sympathy for the Devil dreht, in dem die Entstehung des gleichnamigen Songs dokumentiert wird.
Während die Stones in den Londoner Olympic Studios das Nachfolgealbum von Their Satanic Majesties Request aufnahmen, das später unter dem Titel Beggars Banquet auf den Markt kam, wandte Godard sich mit der Bitte an sie, sie bei der Arbeit filmen zu dürfen. In ihrer neuen Rolle als Volkshelden und gesellschaftliche Außenseiter imponierten sie dem zehn Jahre älteren Franzosen; er betrachtete sie als die idealen Darsteller für eine neue Art Agitprop-Film, über die er gerade nachsann. Und so reiste Godard im Juni 68 nach London und stellte Kameras und Scheinwerfer in dem Studio auf, in dem die Stones gerade einen neuen Song einspielten. Der Arbeitstitel dieser Nummer lautete »The Devil Is My Name«. Dazu inspiriert worden war Jagger durch die Lektüre des Romans Der Meister und Margarita von dem russischen Schriftsteller Michail Bulgakow. Der 1967 auf Englisch erschienene Roman, der damals bei den politisch interessierten, jungen Intellektuellen sehr angesagt war, erzählt die Geschichte des Teufels und seiner Gehilfen von den Tagen Jesu Christi und Pontius Pilatus bis hin in die Sowjetunion der 30er-Jahre. Godard und seine Crew beobachten, wie sich der Song von einem fast dylanesken Klagelied, das allein vom akustischen Gitarrensound lebte, hin zu jener epischen Nummer mit dem einzigartigen Samba-Beat entwickelte, die wir heute kennen. Der Titel, der sich ebenfalls noch einmal änderte, lautete schließlich »Sympathy for the Devil«. Mick Jagger hatte sich ein wenig mit
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