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Mick Jagger: Rebell und Rockstar

Mick Jagger: Rebell und Rockstar

Titel: Mick Jagger: Rebell und Rockstar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Spitz
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nach den Sicherheitsrisiken denn von Kalkül. Es war ja nicht allein die schiere Menge, über die man schlecht die Kontrolle behalten konnte, hinzu kam, dass sich etliche Konzertbesucher mit miesem Speed und schlechtem Acid zugedröhnt hatten. (Bei der Autopsie wurden im Blut von Meredith Hunter Spuren von Meth nachgewiesen. Einige, zu denen auch Sam Cutler gehört, neigen zu einer Verschwörungstheorie, der zufolge irgendein Regierungsorgan seine Hände im Spiel gehabt und Drogen unter die Leute gebracht habe, um die Hippie-Bewegung zu diskreditieren.) Obwohl die Hells Angels in großer Zahl vor Ort waren, waren auch die Rocker in ihrer Lederkluft nicht gefeit gegen Angst, Panik, Adrenalinschübe, Überreaktionen und Fehleinschätzungen. Als es dann auch noch eine erhebliche Verzögerung gab, bis die Stones endlich auf die Bühne kamen (der Grund für diese Verspätung bietet weiteren Zunder für die ewig schwelende »Wer hat Schuld«-Debatte), war die Ausgangslage in vielerlei Hinsicht explosiv. Das Publikum in Altamont war vollkommen bunt gemischt: Es gab Weiße und Schwarze, Freigeister und Kleingeister, Reiche und Arme. Aber eines waren sie alle nicht: cool. »Woodstock, das war eine Horde dämlicher Chaoten im Schlamm«, sagte die unvergleichliche Grace Slick einmal. »Altamont war eine Horde wild gewordener Chaoten im Schlamm.«
    Die Aufnahmen von der Ermordung Hunters sind so etwas wie der Zapruder-Film des Rock’n’Roll. Mit seinen lindgrünen Klamotten ist Hunter in der Menge gut zu erkennen. Er leckt seine Lippen, wie es typisch ist für jemanden, der Speed genommen hat. Auch seine Freundin, eine Blondine namens Patti Bredahoff, wirkt nervös, sie versucht vergeblich, ihn zu beruhigen. Patti war eine Weiße, ihr Freund Meredith ein Farbiger. Manche behaupten, der Streit zwischen dem Jungen und den Hells Angels wäre rassistisch motiviert gewesen. Andere geben dem Zufall die Schuld: falscher Ort, falsche Zeit. Hunter zieht definitiv einen Revolver. Man kann ihn vor Bredahoffs heller Häckelweste genau erkennen. Sagte er den Angels, dass sie ihn in Ruhe lassen sollten? Wollte er ihnen zeigen, dass sie es nicht mit irgendeinem wehrlosen Trottel zu tun hatten? Handelte er in Notwehr? Oder war er, wie Rock Scully behauptete, ein durchgeknallter Teenager auf Speed, der Stress machen wollte? »Ich hatte keinerlei Zweifel, dass er Mick oder irgendeinem der Rolling Stones oder sonst jemandem auf der Bühne etwas Schreckliches antun wollte«, sagte Scully. Hunter lebte nicht lange genug, um Licht ins Dunkel zu bringen. Die Menge zog sich blitzschnell zurück, als die Leute die Pistole in der Hand von Hunter und das Messer in der Hand des Hells Angel Alan Passaro registrierten, sodass sich eine kleine freie Fläche inmitten des Getümmels bildete. Zu spät war Hunter bewusst geworden, dass die Auseinandersetzung mit den Rockern völlig eskaliert war. Er versuchte noch zu fliehen, aber Passaro und ein paar andere Hells Angels waren schneller; als sie ihn zu fassen bekamen, rissen sie ihn zu Boden. Hunters letzte Worte »Ich wollte dich nicht erschießen«, lassen vermuten, dass das Rumgefuchtel mit der Waffe nur ein Bluff war. Es ist unmöglich, sich diese Szene anzusehen, ohne noch einmal darauf zurückzukommen, wie unsagbar traurig das alles war. Das war keine wirkliche Antithese zum Geist der Sixties. Altamont war einfach alles andere als Rock’n’Roll. Altamont gab niemandem etwas, das ist der wahre Kollateralschaden, der die Selbstwahrnehmung der Stones veränderte, obschon sie den fürchterlichen Ereignissen einen noch glamouröseren, noch finstereren Ruf zu verdanken hatten. Und so endete das Jahr 1969, das für Mick Jagger ein Annus horribilis war (auch wenn er ein paar zeitlose Titel veröffentlicht hatte), mit einem weiteren Geist, der schon bei Macbeth sein Unwesen trieb und der ihn sein ganzes Leben lang nicht mehr loslassen sollte. Am Tag nach dem Altamont-Konzert flog Mick zusammen mit dem neuen Finanzmanager der Band, Rupert Prinz zu Löwenstein-Wertheim-Freudenberg, nach Genf, um die Erlöse der letzten US-Tour der Stones auf einem Schweizer Bankkonto zwischenzulagern. Es war Geld, von dem die Alternativpresse behauptete, es sei durch Straßenräuberei zusammengegaunert worden, und das alle, die schockiert waren über das Ausmaß der Gewalt in Altamont, als Blutgeld bezeichneten. Die Rolling Stones waren nun zweierlei: zum einen die größte Rock’n’Roll-Band der Welt, wie Sam Cutler sie genannt

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