Mick Jagger: Rebell und Rockstar
– gerade in einer Zeit von Patti Smith, Richard Hell und Johnny Rotten–, doch wie schon Marianne Faithfull und Anita Pallenberg vor ihr, hat sie die Stones auch gefestigt und sie weitergebracht. Durch Bianca Jagger strahlte das Glamouröse der Schickeria auf die Band ab und verlieh ihr einen Hauch von High Society, was sich perfekt mit ihrem geradlinigen, leicht verruchten Image verband und eine ganz neue Rock’n’Roll-Ästhetik begründete. Durch sie wurde Mick fündig auf seiner Suche nach einer Synthese von Bildungsbürgertum und Arbeiterkultur, von Penthouse und Gosse. Studio 54, der Club, den sie zu ihrem Spielplatz machten, war der Ort, an dem Sounds, Moden und Leute aus allen sozialen Schichten aufeinandertrafen. Anders als Marianne Faithfull und Anita Pallenberg gilt Bianca Jagger bis heute nicht als cool, und daher bleibt ihr auch die Anerkennung verwehrt für ihren entscheidenden Beitrag zu dem von Mick entwickelten Image der Rolling Stones in den 70ern. Doch nicht nur das, es wird ihr nach wie vor angekreidet, dass die Band durch sie plötzlich zu einem essentiellen Bestandteil der Promiszene wurde. »Du kannst sagen, was du willst, aber Mick hat gut daran getan, die Rolling Stones in die Schickeria einzuführen«, sagt Peter Rudge, der Cambridge-Absolvent, der während dieser von Bianca beeinflussten Phase als Roadmanager für die Band arbeitete. »Auch Keith profitierte davon. Keith konnte jetzt den düsteren Typen geben, der in dieser Welt, in der es von Promis nur so wimmelt, einfach rumhängt und sich gehen lässt, und das faszinierte die Leute. Mick war das vollkommen bewusst. Er hatte auch in diesem Zusammenhang den Wert von Keith, der einfach nur Keith war, erkannt. Die Band bewegte sich jetzt auf unterschiedlichen Terrains. Das unterschied sie von Jimmy Page und Robert Plant, Roger Daltrey und Pete Townsend, Roger Waters und David Gilmour – deren Lifestyle jetzt völlig anders war als der der Stones.«
Die »echte« Bianca Pérez-Morena De Macias wurde 1945 in eine vermögende nicaraguanische Familie hineingeboren. Ihr Vater war ein wohlhabender Geschäftsmann. Doch die Eltern ließen sich scheiden, als Bianca noch klein war, und als geschiedene Frau besaß ihre Mutter im damaligen Nicaragua kaum Rechte. Möglicherweise rührt daher Biancas scheinbar ambivalentes Verhältnis zu Reichtum und Armut: auf der einen Seite die ausgelassenen Partys in den Clubs, auf der anderen ihr karitatives Engagement in von Kriegen oder Naturkatastrophen verwüsteten Gebieten. Sie hatte als Kind erlebt, was es bedeutete, reich zu sein, und sie hatte mitbekommen, dass von einem Tag auf den anderen das Geld knapp wurde. Deshalb warf man ihr zunächst auch vor, nur hinter Micks Geld her zu sein.
»Ich sah, wie schwer das Leben für meine Mutter von dem Augenblick an wurde«, sagt sie über die Scheidung ihrer Eltern, als sie gerade sieben Jahre alt war. »Und auch mein Leben hat sich dadurch verändert. Gerade hatten wir noch ein angenehmes, unbeschwertes Leben gehabt, da musste meine Mutter plötzlich arbeiten gehen und wurde ganz anders behandelt als zuvor. Ich sah, zu welchem Schicksal Frauen in Ländern wie Nicaragua verdammt waren; sie waren Menschen zweiter Klasse. Ich wollte nicht dasselbe Schicksal erleiden müssen wie meine Mutter.«
Genau wie Mick war auch Bianca außerordentlich wissbegierig. Sie beschäftigte sich viel mit Ökonomie, politischen Ordnungen und Regierungssystemen, nachdem sie ein Stipendium für Politikwissenschaft an der Pariser Sorbonne erhalten hatte. Ende der 60er-Jahre lebte sie in London, das in dieser Zeit im Zeichen zahlreicher Protestmärsche und der ausgehenden psychedelischen Ära stand. Durch ein Techtelmechtel mit Michael Caine bekam sie Zugang zu den richtigen Kreisen, wo sie die Menschen durch ihre Schönheit und ihren scharfen Verstand für sich einzunehmen vermochte. Sie kannte Donald Cammel, den umstrittenen Performance -Regisseur, und den türkischstämmigen Gründer von Atlantic Records, Ahmet Ertegün. Anfang der 70er bemühte sich Ertegün, der zahlreiche Soul-Größen unter Vertrag hatte, eifrig um die Stones, deren Vertrag mit Decca gerade ausgelaufen war. Sobald sie die Arbeit an der Liveplatte Get Yer Ya Ya’s Out , ihrem letzten Decca-Album, abgeschlossen hatten, schuldeten sie der Plattenfirma nur noch eine einzige Single. Mick Jagger bot Decca eine akustische Folknummer an, ohne Hookline, dafür mit reichlich anstößigen Lyrics. Der Songtitel lautete
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