Mickey Haller 04 - Der fünfte Zeuge
weiß?«
»Nichts. Das war dumm von mir.«
»Was war dumm? Dass Sie einen Ihrer Schüler mit einem Lineal geschlagen haben oder dass Sie es mir nicht erzählt haben?«
»Das ist vier Jahre her, und er hatte es verdient. Mehr sage ich dazu nicht.«
»Nur haben das nicht Sie zu entscheiden. Freeman kann es bei der Widerlegung noch einmal aufs Tapet bringen, und Sie sollten sich besser schon mal überlegen, was Sie dann sagen wollen.«
Sie zog besorgt die Stirn in Falten.
»Wieso das jetzt auf einmal? Der Richter hat den Geschworenen doch gesagt, sie sollten vergessen, dass es zur Sprache kam.«
»Im Kreuzverhör kann sie es nicht mehr anschneiden, aber sie wird eine Möglichkeit finden, es später noch einmal zur Sprache zu bringen. Für die Widerlegung gelten andere Regeln. Deshalb erzählen Sie mir lieber alles darüber und auch alles andere, was ich wissen sollte und Sie mir zu erzählen versäumt haben.«
Sie schaute über meine Schulter, und ich wusste, sie hielt nach Herb Dahl Ausschau. Sie hatte keine Ahnung von dem, was er mir erzählt hatte oder dass er als Doppelagent für uns tätig war.
»Dahl ist nicht hier«, sagte ich. »Reden Sie schon, Lisa. Was sollte ich sonst noch wissen?«
Als ich in die Kanzlei zurückkam, stand Cisco mit den Händen in den Hosentaschen im Vorzimmer und unterhielt sich mit Lorna, die an ihrem Schreibtisch saß.
»Was hängst du hier noch rum?«, fragte ich. »Wolltest du nicht zum Flughafen fahren, Shami abholen?«
»Ich habe Bullocks hingeschickt«, sagte Cisco. »Sie sind bereits unterwegs hierher.«
»Sie hätte hierbleiben und sich auf ihre Zeugenaussage vorbereiten sollen, mit der sie wahrscheinlich morgen dran ist. Du bist der Ermittler, du hättest zum Flughafen fahren sollen. Die beiden können den Dummy wahrscheinlich nicht mal zu zweit tragen.«
»Jetzt mach mal nicht gleich so einen Aufstand, Boss, sie kriegen das schon hin. Und sie kommen problemlos klar. Bullocks hat mich gerade von unterwegs angerufen. Reg du dich mal wieder ab, um alles Weitere kümmern wir uns.«
Ich starrte ihn finster an. Es war mir egal, dass er fünfzehn Zentimeter größer war und dreißig Kilo mehr Muskeln hatte als ich. Ich hatte die Schnauze voll. Ich hatte die ganze Verantwortung zu tragen, und jetzt hatte ich die Schnauze voll.
»Du meinst, ich soll mich abregen? Ich soll keinen Aufstand machen? Dann hör mal gut zu, mein Lieber. Wir haben gerade mit der Verteidigung angefangen, aber das Problem ist, wir haben keine Verteidigung. Ich habe nur eine Menge Worte und einen Dummy. Das Problem ist, wenn du nicht schleunigst deine blöden Pfoten aus deinen Scheißhosentaschen nimmst und mir was Gescheites beschaffst, dann bin ich derjenige, der wie so ein bescheuerter Dummy dasteht. Erzähl du mir also nicht, ich soll mich nicht aufregen, ja? Ich bin derjenige, der sich jeden Tag vor die Geschworenen hinstellen darf.«
Zuerst begann Lorna zu lachen, und wenig später fiel auch Cisco mit ein.
»Ihr findet das auch noch komisch?« Mir platzte endgültig der Kragen. »Das ist nicht komisch. Was soll daran bitte komisch sein, verdammte Scheiße noch mal?«
Cisco hielt beschwichtigend die Hände hoch, bis er sich wieder gefangen hatte.
»Sorry, Boss, es ist nur, wie du gerade hochgegangen bist … und dann noch das mit dem Dummy.«
Lorna lachte erneut los. Ich nahm mir vor, sie nach dem Prozess zu feuern. Nein, ich würde sie beide feuern. Das wäre wirklich komisch.
»Hör zu«, sagte Cisco, der anscheinend spürte, dass ich für den Humor der Situation nichts übrighatte. »Du gehst jetzt in dein Büro, nimmst deine Krawatte ab und setzt dich in deinen Schreibtischsessel. Und ich gehe meine Sachen holen und zeige dir, was ich Neues habe. Ich habe mich den ganzen Tag mit Sacramento rumgeschlagen, deshalb dauert das Ganze noch ein bisschen, aber ich bin schon ganz nah dran.«
»Sacramento? Das staatliche Labor?«
»Nein, das Handelsregister. Bürokratie, Mickey. Deshalb dauert das Ganze so lang. Aber mach dir deswegen mal keinen Kopf. Du machst deinen Job, und ich mache meinen.«
»Ist nur nicht so einfach, ihn zu machen, wenn du deinen nicht machst.«
Ich stapfte auf die Tür meines Büros zu und warf Lorna im Vorbeigehen einen vorwurfsvollen Blick zu. Er hatte nur zur Folge, dass sie wieder lachte.
40
I ch war nicht eingeladen und wurde auch nicht erwartet. Aber weil ich meine Tochter eine Woche lang nicht mehr gesehen hatte – die Mittwochabend-Pfannkuchen hatte ich
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