MicrDolly - 07 - Dolly hat Heimweh nach der Burg
untersuchte es kopfschüttelnd, bis er sich durch leises Kichern der anwesenden Mädchen bewußt wurde und bis unter die Haarwurzeln errötete.
Schnell knüllte Monsieur Monnier das Spitzentuch zu einem unkenntlichen Knäuel zusammen, betupfte sich die Stirn und versteckte es so hastig in seiner Jackentasche, als hätte es ihn in den Finger gebissen.
„Jetzt sind Sie dran, meine Damen“, sagte er hastig. „Wir lesen das Stück mit verteilten Rollen. Es ist die beste Art, die Kraft und Schönheit der Sprache Racines zu erfahren.“
Während die Mädchen sich in den Text vertieften, schaute er wieder und wieder verstohlen in die Tasche, als könne er immer noch nicht glauben, was ihm da vorhin passiert war.
Am Nachmittag des gleichen Tages warteten die Mädchen der vierten Klasse auf ihre Französischlehrerin. Sie machten einen ungewohnt braven und ruhigen Eindruck. Sie hielten die Nasen in die Bücher gesteckt, als gäbe es nichts Spannenderes auf der Welt als französische Vokabeln. Mademoiselle erschien, rosig und vergnügt wie immer.
„Oh“, rief sie aus und blieb wie angewurzelt stehen. „Welch ein enormer, welch ein außerordentlicher Blumenstrauß! Meine lieben Kinder! Wie reizend von euch! Ich habe doch heute nicht Geburtstag?!“ Felicitas stand auf.
„Sie irren sich, Mademoiselle. Der Blumenstrauß ist nicht von uns“, sagte sie und versuchte, so unschuldig wie möglich dabei auszusehen.
„Nicht von euch? Ja aber…“
„Nein!“ riefen die anderen. „Er lag schon da, als wir in die Klasse kamen.“
Mademoiselle hob den Strauß hoch und betrachtete ihn genauer. Plötzlich entdeckte sie das Band, blau-weiß-rot, das hatte sie doch schon irgendwo gesehen? Sie befühlte es prüfend. Ein Hutband – ja natürlich! Und jetzt wußte sie auch, wem es gehört hatte. Was für ein zarter Wink von Landsmann zu Landsmännin! Mademoiselle errötete tief.
„Kann eine von euch diese herrlichen Blumen für mich ins Wasser stellen? Warte…“ Sie löste vorsichtig das Band von dem Strauß und steckte es in die Tasche. Irmgard, die aufgesprungen war, um die Blumen in eine Vase zu stellen, konnte sich das Lachen kaum noch verbeißen.
Es wurde eine qualvolle Stunde für die Mädchen. Sie durften sich um keinen Preis anmerken lassen, daß sie etwas mit der Sache zu tun hatten, aber jedesmal, wenn Mademoiselles Augen verzückt zu der Vase auf dem Fensterbrett wanderten, in der die herrlichen Blumen in der Nachmittagssonne leuchteten, glaubten sie vor Lachen sterben zu müssen. Und als gar Mademoiselle leise ein Liedchen zu trällern begann, war es um Steffis Fassung geschehen. Ihr kamen die Tränen vor Lachen, und sie konnte sich nur retten, indem sie ihr Gesicht tief im Taschentuch verbarg und tat, als müsse sie sich schneuzen.
Gleich nach dem Unterricht rief Mademoiselle Monsieur Monnier an und bedankte sich überschwenglich für den charmanten Blumengruß. Monsieur Monnier wand sich vor Verlegenheit, er begriff überhaupt nichts mehr. Allerdings ahnte er dunkel, daß nur die Mädchen hinter der verworrenen Geschichte stecken könnten. Aber als Mademoiselle ihn für den nächsten Tag zu einem Täßchen Kaffee einlud, um über die gemeinsame Heimat zu plaudern, sagte er begeistert ja.
Als die Mädchen aus der Vierten am nächsten Tag beim Abendbrot von Monsieur Monniers Besuch bei Mademoiselle hörten, blieb ihnen vor Staunen der Mund offenstehen.
„Er wollte mir nicht verraten, wie er die Blumen heimlich bis zu meinem Pult gebracht hat. Er muß Helfershelfer gehabt haben, n’est ce pas? Aber ich will euch euer Geheimnis nicht entlocken“, sagte Mademoiselle.
„Am Ende haben wir noch ein gutes Werk getan!“ flüsterte Felicitas Steffi zu.
Der Besuchstag
Ein paar Tage später entdeckte Felicitas etwas Merkwürdiges. Täglich vor dem Mittagessen wurde die Post verteilt. Sie lag zu Häufchen geordnet auf dem großen Tisch in der Eingangshalle, und die Klassensprecherinnen nahmen den für ihre Klasse bestimmten Stapel an sich und verteilten die Briefe an die Mädchen.
Heute war auch ein Brief für Felicitas dabei, er kam von den Eltern, und Felicitas lief damit ein paar Schritte den Gang entlang und stellte sich in eine Fensternische, um ihn vor dem Essen noch schnell zu lesen.
Während sie den Umschlag öffnete, hörte sie Schritte hinter sich. Marja kam, einen Brief in der Hand, den Gang herauf. Sie schien Felicitas nicht zu bemerken, sie starrte unverwandt auf den Brief in ihren Händen, und in ihrem Ausdruck
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