Microsklaven
seiner Gesten. Wirklich gebannt schauten sie auf den Bildschirm, versuchten, Bills Charisma zu entschlüsseln, und es war sehr merkwürdig, all diese Leute zu sehen, die auf das Abbild von Bill starrten und nicht zuhörten, was er sagte, sondern statt dessen dahinterzukommen versuchten, was sein ... Geheimnis ist.
Doch sein Geheimnis ist, glaube ich, daß er nichts zeigt. Ein Pokerface drückt nicht, wie James Bond, Coolneß aus. Ein Pokerface drückt nichts aus. Das ist vielleicht der Kern des Nerd-Traums: der Kern von Macht und Geld, im Zentrum des technologischen Sturms, der weder Emotionen noch Charisma ausdrücken muß, weil Emotionen nicht zu Programmzeilen konvertiert werden können. Noch nicht.
Nach einer Weile verlor ich irgendwie die Konzentration, und ich lief herum und nahm mir eine New York Times, die neben einem SGI-Unit lag, auf dem eine Flugsimulation lief. Auf der dritten Seite des Wirtschaftsteils, nicht mal auf der ersten, fand ich einen Artikel darüber, daß Gerüchte über einen bevorstehenden Buyout durch Panasonic (Holland), Oracle (USA) und Matsushita (Japan) dazu geführt hätten, daß die Apple-Aktien im Wert stiegen. Meine Güte, wie sich alles verändert. Das ist alles, was mir dazu einfällt. Apple war früher der Herrscher des Valleys, und jetzt wird die Firma eingestuft wie ein Jungunternehmen. Zeitspannen sind so extrem in der Tech-Industrie. Das Leben läuft fünfzigmal schneller ab als normal. Ich meine, wenn in Palo Alto jemand zu einem sagt: »Die haben nie zurückgerufen«, meint er in Wirklichkeit: »Die haben eine
Woche nicht zurückgerufen.« Eine Woche bedeutet im Silicon Valley nie.
T odd war den ganzen Tag weg, um seine Eltern zusammenzustauchen, und Bug, Sig, Emmett und Susan streiften umher, in der Hoffnung, ihm »zufällig« über den Weg zu laufen, um ein bißchen zu lauschen, aber sie hatten kein Glück.
D er MacCarran-Airport liegt direkt neben der Innenstadt von Las Vegas, und alle elf Sekunden düst ein Flugzeug über die Stadt hinweg. Karla und ich gingen zwischen den Pavillons umher, und wir sahen Barry Diller in einem grauen Wollanzug (ohne Namensschild). Wir setzten uns auf einen Treppenabsatz neben aufgetürmten Sperrholz-Frachtkisten, um unsere Füße auszuruhen, und sahen den Flugzeugen zu. Wir waren beide ziemlich reizüberflutet.
Karla fummelte an dem Samsung-Schuhband herum, mit dem ihr Badge befestigt war, schaute zu einem Flugzeug am Himmel auf und sagte: »Dan, was sagt uns dieses ganze Zeug über uns als Menschen? Was haben wir dadurch gewonnen, daß wir unser Innerstes mit Hilfe all der elektronischen Konsumeinheiten des Luxus, des Komforts und der Freiheit ausgelagert haben?«
Das ist eine gute Frage, dachte ich. Ich meinte, wie verrückt es ist, daß man ständig gefragt wird: »Hast du irgendwas Neues gesehen ? Hast du irgendwas Neues gesehen ?« Das ist auf der CES eine Art Mantra.
Karla meinte, allzu viele Geräte könnte man schließlich gar nicht bei sich zu Hause haben. »Man kann eine Stereoanlage haben und eine Mikrowelle und ein schnurloses Telefon ... und noch so dies oder das ... Aber an einem bestimmten Punkt gehen einem die Sachen aus, die man gebrauchen kann. Man kann sich effektivere und teurere Dinge kaufen, aber keine wirklich neuen. Ich schätze, unsere Grenzen als Spezies werden dadurch definiert, wie viele verschiedene Arten von Dingen wir bauen.«
Der Virtual Boy von Nintendo war wohl das Fortschrittlichste, was wir hier gesehen haben. SEGA hat den Preis für den lautesten Stand gewonnen, und das will bei der CES eine Menge heißen.
B ug, Sig und Karla ärgerten sich alle ein bißchen, wie »familienorientiert« die Stadt geworden ist, und wir sehnten uns nach Spuren ihrer stolzen Geschichte der Verruchtheit und Korruption. Ich meine, wenn man in Las Vegas nicht vom rechten Weg abkommen kann, wozu ist es dann gut? In einer 90minütigen Pause zwischen zwei Meetings beschlossen wir, ins Sahara zu gehen, um uns den Porno-Teil der Messe anzusehen, einen schwer gesicherten Ausstellungsraum im ersten Stock, vollgestopft mit dem Neuesten in Sachen ... ähmmm... Cyberstimulation.
Es gab praktisch keine Taxis, also teilten wir uns schließlich eins mit Darleena, dem schlechtesten Transvestiten der Erde: riesige behaarte Fingerknöchel und ein Fünf-Uhr-Bartschatten wie Fred Feuerstein. Darleena erzählte die ganze Zeit davon, wie sie letztes Jahr in der Hefnerschen Playboy-Villa Pamela Anderson von Baywatch kennengelernt hat.
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